Teil 9
Für November 1965 war eine Autorenkonferenz in München anberaumt. Auch diesmal wurden von Herrn Heyne die Damen dazu eingeladen, ihre Männer nach München zu begleiten.
Das Schneechaos des vergangenen Jahres ließ uns zu dem Entschluss kommen, dass es besser sei, mit der Bahn zu fahren.
Wir trafen uns mit Familie Scheer am Frankfurter Hauptbahnhof und fuhren gemeinsam nach München. Im Hotel Eden-Wolff, gegenüber des Münchener Bahnhofs gelegen, waren Zimmer für uns bestellt. Nachdem wir uns angemeldet hatten, wurden wir von einem Angestellten des Hotels nach oben begleitet. Wir hielten im ersten Stock, wo Familie Scheer in einem geräumigen Zimmer mit Bad untergebracht war. Mit seinen nachempfundenen Chippendale Möbeln machte der Raum großen Eindruck.
Wir gingen wieder zum Aufzug und wurden von dem etwas steif wirkenden und nicht sehr freundlichen Herrn zur letzten Etage gefahren. Er ging vor uns her und führte uns durch mehrere Gänge, die immer weniger wie die eines Nobelhotels aussahen. Schließlich hielt er vor einer Tür, öffnete sie und ließ uns mit den Worten „Bitte sehr, das ist ihr Zimmer“ eintreten. Das Zimmer war ein schmaler Schlauch, in dem die Betten hintereinander standen. Gleich neben der Tür gab es ein Waschbecken und unsere Kleidung konnten wir in einem Schrank unterbringen, dessen Tür leicht schief hing und schlecht schloss.
„Ich glaube, hier schläft normalerweise das Zimmermädchen!“, sagte Willi und murmelte noch etwas von „dem feinen Unterschied“.
Als wir uns später mit Scheers trafen und von unserer tollen Suite erzählten, meinte Karl-Herbert großzügig: „Wenn ihr mal baden wollt, könnt ihr gerne zu uns kommen!“ Wir machten von seinem freundlichen Angebot keinen Gebrauch.
Abends trafen wir uns mit den anwesenden Autoren, sowie Herrn Bernhardt im Restaurant des Hotels. Es wurden erste Gedanken ausgetauscht, die man am nächsten Tag während der eigentlichen Sitzung vorbringen wollte. Je später es wurde, desto weniger dachte man an die Arbeit – jedenfalls nicht ernsthaft.
Am nächsten Morgen trafen sich die Herren pünktlich in der Türkenstraße, dem Sitz des Moewig-Verlags, zur Autorenkonferenz.
Ich verabredete mich mit Heidrun Scheer zu einem Bummel durch München. Die inzwischen eineinhalbjährige Corinna begleitete uns.
Der Tag klang aus mit einem gemütlichen Beisammensein und einem guten Essen, zu dem Familie Heyne die Autoren, sowie G.M. Schelwokat, Herrn Bernhardt und natürlich die dazugehörigen Damen, eingeladen hatte. Wir trafen uns wieder in demselben Restaurant wie im Jahr zuvor – nur diesmal wurde keine Zigeunermusik gespielt. An diesem Abend trafen Willi und ich zum ersten Mal mit Gisa Schelwokat zusammen. Sie wurde uns als gouvernantenhafte, humorlose und nur Traubensaft trinkende Frau geschildert. Mit leichtem Unbehagen nahm ich neben ihr Platz. Sie trank tatsächlich Traubensaft und ihr Verhalten war zurückhaltend; ich fand sie aber sehr nett. Im Laufe der Jahre entwickelte sich zwischen uns eine herzliche Freundschaft, die bis zu Gisas frühem Tod im Februar 1992 andauerte.
Es wurde ein gemütlicher Abend, der sich zu fortgeschrittener Stunde auf angenehme Weise recht lustig entwickelte. Roswitha Heyne, die junge und attraktive Frau des Juniorchefs, trug mit ihrer ungezwungenen Art sehr dazu bei.
Das Jahr 1966 begann mit der Arbeit an den Romanen „Fünf von der CREST“ (Nr.241) und „Das Rätsel der Sumpfplaneten“ (Nr.242).
Die Kommunikation zwischen Kurt Bernhardt und Willi Voltz fand aufgrund unserer immer noch telefonlosen Wohnung in schriftlicher Form statt. Missverständnisse, die am Telefon schnell bereinigt gewesen wären, wurden in Briefen besprochen und geklärt. Wenn es ganz eilig war, wurde ein Telegramm geschickt.
Der Cheflektor des Moewig-Verlags brachte immer wieder sein Interesse daran zum Ausdruck, den „Jungautor“ Voltz ganz unter seine Fittiche zu nehmen. Dreieinhalb Jahre nach Willis Start bei der PERRY RHODAN-Serie wusste Kurt Bernhardt dessen gute Mitarbeit und Zuverlässigkeit zu schätzen.
Die PERRY RHODAN-Serie war inzwischen so erfolgreich, dass man die Idee, eine 2. Auflage auf den Markt zu bringen, nun realisierte. Das erste Heft erschien im März 1966, zeitgleich mit Willis Band Nr.236, der im Vertrag noch den Titel „Stunde der Flucht“ hatte.
Das Ausland war ebenfalls auf die beliebte Serie aufmerksam geworden. PERRY RHODAN erschien nun nicht nur in deutschsprachigen Ländern, sondern gleichzeitig in Frankreich und Belgien.
Es war seit einiger Zeit auch eine PERRY RHODAN-Leihbuch Ausgabe, die sog. Zimmermann-Bände, auf dem Markt. Bei diesen Büchern handelte es sich nicht um Überarbeitungen wie bei den späteren Silberbänden. In der Karl-Herbert Scheer Biografie heißt es zum Thema Silberbände:
Scheer wusste Rat. Bei der Auswahl der aufzunehmenden Hefte konnte Voltz sich an der ersten Buchausgabe von 1962 bis 1965 orientieren, die ihn immerhin bis Heft 149 bringen würde. So ergab es sich, dass die ersten siebzehn Silberbände mit der Zimmermann-Ausgabe der sechziger Jahre weitgehend identisch sind.
Warum auch immer diese Aussage gemacht wurde – sie ist schlichtweg falsch und entbehrt jeder Grundlage. Wie die Bearbeitung der Silberbände tatsächlich vonstatten ging, wird zu gegebener Zeit geschildert.
Im Frühjahr planten wir unseren nächsten Urlaub. Willi war urlaubsreif. Ich hatte den Eindruck gewonnen, dass ihm die Doppelbelastung zu schaffen machte. Er klagte oft über Magenprobleme. Ich bat ihn, zum Arzt zu gehen.
„Wann soll ich das denn machen?“ fragte er mich. „Ich arbeite bis fünf Uhr – das wird zu knapp. Außerdem habe ich keine Lust, mich in das vollbesetzte Wartezimmer zu setzen und mir die Krankengeschichten der anderen Patienten anzuhören.“
Ich schlug ihm vor, dass ich mich am Nachmittag für ihn ins Wartezimmer setze, sodass er nach seinem Eintreffen in der Praxis keine lange Wartezeit mehr haben würde. Nun hatte er keine Ausrede mehr. Als Willi in der Praxis ankam, war er fast an der Reihe – und ich war bestens informiert über alle Krankheiten und den neuesten Klatsch. Die Diagnose des Arztes lautete: Magenschleimhaut-Entzündung. „Arbeiten Sie zuviel oder haben Sie Kummer?“, fragte er. Willi verneinte. Der Arzt verschrieb ihm ein Pulver, das er immer nehmen sollte, wenn er Beschwerden bekam. Es half.
Bis zu unserem Start in den Urlaub in der zweiten Maihälfte schrieb Willi noch die Romane:
Nr. 251 „Die Armee der Biospalter“
Nr. 252 „Die Welt der Regenerierten“
Nr. 257 „Der Dreitöter“
Nr. 262 „Der Meisterspion“, sowie
Nr. 263 „Sieben Stunden Angst“.
Außerdem erhielt Willi noch einen Vertrag für den Roman „Das Schiff des Mutanten“, der in der Terra-Normalreihe erscheinen sollte.
Teil 10
Wir meldeten uns im Hotel MACAYA in Tossa de Mar an. Unser Freund Günter, der noch Junggeselle und ohne fest Bindung war, wollte uns begleiten.
Diesmal zogen wir es vor, mit dem Auto zu fahren. Willi plante, am Freitagnachmittag, direkt nach Arbeitsschluss, loszufahren. Die Fahrt würde etwa dreizehn Stunden dauern.
„Ich kann mich mit Günter abwechseln. Einer von uns kann dann immer ein bisschen schlafen“, meinte Willi auf meine besorgte Frage, ob er tatsächlich nach der Arbeit starten und die ganze Nacht hindurch fahren wolle. Ich hatte damals noch keinen Führerschein.
Das Gepäck wurde morgens ins Auto gepackt und ich fuhr am Nachmittag mit dem Bus nach Offenbach, wo ich mich mit den beiden traf. Unbekümmert und in Vorfreude starteten wir in den Urlaub.
Nachdem wir kurz vor Basel die Grenze überquert hatten, mussten wir uns mit Landstrassen zufrieden geben. Auf unserer Strecke nach Spanien gab es noch keine Autobahn. Als es bereits dämmerte, legten wir eine kurze Pause ein. Willi bat Günter das Steuer zu übernehmen, weil er ein „Nickerchen machen wolle“. Die Fahrt ging weiter. Ich lag auf der Rückbank.
Plötzlich wurden wir unsanft aus unserem Dämmerschlaf gerissen. Das Auto holperte über einen sehr unebenen Weg. Günter trat auf die Bremse und hielt an. Er war kurz eingenickt und in eine Baustelle gefahren. Wir stiegen aus, um uns davon zu überzeugen, dass nichts passiert war.
Nach diesem Ereignis übernahm Willi wieder das Steuer und fuhr uns sicher an die Costa Brava.
Wir waren froh, als wir endlich frühmorgens in dem Fischerdorf ankamen. Die Spanier waren schon aktiv. Die Gehwege wurden befeuchtet und gekehrt. In manchen Hauseingängen standen Wagen mit frischem Obst und Gemüse. Die appetitliche Ware lud zum Kaufen ein. Es wurde palavert und gelacht und der Muli, der gemütlich einen Wagen durch die enge Gasse zog, begrüßte jeden mit einem lauten iah.
Die Straße vor dem Hotel war gerade so breit wie ein Auto. Wir beeilten uns mit dem Ausladen, damit Willi einen Parkplatz suchen konnte. Im Zimmer angekommen fielen wir erst einmal in einen mehrstündigen Tiefschlaf. Abends führten wir Günter durch die kleine Altstadt und in die gemütlichen Kneipen, die wir schon vom Vorjahr kannten. Jeder Hausbesitzer, der einen Raum übrig hatte, machte daraus ein Lokal oder einen kleinen Laden. Fast überall wurde Musik gemacht. Die spanischen Klänge versetzten uns in Urlaubsstimmung. Die letzte Bodega, in der wir Halt machten, war ein richtiger Familienbetrieb. Der Vater und die Tochter sangen und spielten Gitarre, während die Mutter für Getränke sorgte. Wir wurden begrüßt wie alte Freunde – und sofort stand Tequila auf dem Tisch. Da ich meinen nicht trank, übernahm ihn Willi – und den nächsten übernahm Günter. Zwischendurch gab es Rotwein. Trotz guter Stimmung überfiel uns die Müdigkeit und wir gingen zurück ins Hotel.
Am nächsten Morgen, gleich nach dem Frühstück, war der erste Strandbesuch angesagt. Willi und Günter sahen nicht gut aus. Sie machten auf mich den Eindruck, als wollten sie lieber wieder ins Bett gehen. „Die frische Luft wird Euch gut tun!“, sagte ich. „Auf geht’s!“
Wie ich bald feststellen musste, nutzte auch die frische Luft nichts. Man zog sich dezent zurück… Ich bummelte alleine durch Tossa und wartete darauf, dass sich Willi und Günter von den Strapazen des ersten Urlaubstags regenerierten. Es wurde ein schöner Urlaub, von dem wir gut erholt und braun gebrannt wieder nach Hause kamen.
Ein paar Tage nach unserer Heimkehr fuhren wir nach Friedrichsdorf. Die Treffen fanden üblicherweise freitags statt. Herbert bekam von uns einen spanischen Brandy, Heidrun und Corinna eine Kleinigkeit zum Anziehen mitgebracht. Im Garten trafen wir Herberts Eltern, die im Tiefparterre des Hauses, in einer separaten Wohnung, lebten. Herr Scheer sen. war ein netter, älterer Herr, der sich gerne im Garten nützlich machte. Oma Scheer freute sich, wenn sie das Enkelkind betreuen konnte.
Wie immer, wenn wir die beiden trafen, wurde ein bisschen geplaudert. Später, nach einem kleinen Abendessen, zogen sich Herbert und Willi zurück, um über Neuigkeiten im Verlag und die Fortführung der PERRY RHODAN-Serie zu sprechen. Willi machte sich Notizen, um diese dann zu Hause zu „Vorab“-Exposés auszuarbeiten.
Heidrun und ich räumten das Geschirr ab und spielten danach mit Corinna. Als die beiden Männer wieder nach unten kamen und Herbert mich mit Corinna auf dem Arm sah, fragte er, wie schon oft, ob wir denn nicht auch ein Kind haben möchten. Er wusste von meinen gesundheitlichen Problemen und den damit verbundenen Schwierigkeiten. Es hielt ihn nicht davon ab, immer wieder zu beteuern, wie „phantastisch das Gefühl sei, ein Kind zu haben“. Ich erzählte Herbert, dass ich in der kommenden Woche erst einmal wieder ins Krankenhaus müsse und mein Hausarzt gemeint habe, dass ich „nach einer solchen Operation wenig Chancen hätte, noch ein Kind zu bekommen“.
Herbert, der ein starkes Interesse an allen medizinischen Dingen und Entwicklungen hatte, überhäufte uns mit Ratschlägen, die von Moorbädern bis hin zur künstlichen Befruchtung reichten. Wir hörten ihm zu und hofften auf unser Glück.
Am nächsten Morgen begann Willi mit der Ausarbeitung der Ideen für die nächsten Exposés. Je nachdem wie eilig die Fertigstellung der Exposés war, und Eile war meist geboten, wurden diese Vorab-Handlungsexposés dann an KHS geschickt oder beim nächsten Treffen persönlich abgegeben. Zeitweise fanden die Treffen wöchentlich statt, jedoch mindestens einmal im Monat.
Die nächsten PERRY RHODAN-Romane waren ebenfalls bald fällig. Willi war eingeteilt für die Bände 273 „Unter den Gletschern von Nevada“ (sein Vorschlag war „Ratten im Eis“) und Nr.274 „Zwischen Feuer und Eis“. Das Schreiben bereitete William Voltz viel Freude und es ging ihm gut von der Hand.
Was uns nicht so viel Freude bereitete, war die Situation in unserer Wohnung.
Es war an einem schönen Sommertag, als wir von einem Spaziergang zurückkamen und sahen, dass unsere Vermieter Besuch hatten. Wir gingen nach oben in unsere Wohnung und stellten fest, dass sich auch in dem Zimmer, das ursprünglich für die Mutter unseres Vermieters als Schlafzimmer gedacht war, nach der Geburt des zweiten Kindes der jungen Hausbesitzer jedoch auch dem älteren Kind als Schlafzimmer diente, Leute aufhielten. Es war das einzige Zimmer im Haus, das einen Balkon hatte. „Na ja“, meinten wir ohne Überzeugung, „was soll's“.
Wir waren kaum in unserem Wohnzimmer angelangt, als Kinder über unseren Flur rannten, die Tür knallten und nach unten eilten. Wir sahen uns wortlos an. Dieses Spiel wiederholte sich in den nächsten Minuten mehrmals. Ich sah Willi an, dass er kurz vor dem Explodieren war. „Wenn das nicht bald aufhört, gehe ich hinein!“, drohte er. Der Krach hörte nicht auf. Niemals zuvor sah ich meinen Mann derart wütend. Er sprang auf, ging über den Flur, riss die Tür zum Zimmer der alten Dame auf und schrie hinein: „Wenn der Zirkus hier jetzt nicht sofort beendet wird, werfe ich jeden Einzelnen aus der Wohnung!“ Es hielten sich mindestens zehn Personen in dem Zimmer auf, die sofort geschockt verstummten und nach unten gingen. Wir warteten auf eine Reaktion. Es dauerte einige Minuten, bis man von unten etwas hören konnte. Nachdem die Gäste gegangen waren, ging Willi nach unten und sagte dem jungen Hausherrn, dass wir unseren Mietvertrag vorzeitig kündigen und uns schnellstmöglich eine andere Wohnung suchen werden. Wir hatten den Eindruck, dass dem Vermieter die ganze Angelegenheit unangenehm war.
Willi beauftragte mich mit der Suche nach einer anderen Wohnung. Mein erster Weg führte zum Wohnungsamt in Offenbach. Ein freundlicher Mann erklärte mir, dass das Wohnungsamt nur noch für die Vermittlung von Sozialbau-Wohnungen zuständig sei. Er empfahl mir, in der Wochenendausgabe der Offenbach-Post nachzusehen, ob etwas Passendes für uns dabei sei. Als ich bereits wieder an der Tür war, rief mich der Mann zurück.
„Ich hätte da vielleicht doch etwas für Sie. In der Bettinastraße wird gerade ein Haus gebaut. Es war ein Trümmergrundstück, und dem Besitzer wurde zur Auflage gemacht, dieses Grundstück zu bebauen. Da er nicht die nötigen Mittel für den Bau eines Hauses hatte, bekam er staatliche Unterstützung. Es handelt sich nun quasi um eine Sozialbauwohnung, für deren Vermietung bestimmte Auflagen gemacht werden. Gehen Sie doch einfach mal hin.“ Er gab mir die Anschrift und wünschte mir Glück.
Als ich Willi davon erzählte, meinte er, dass wir so schnell wie möglich Kontakt zu dem Hausbesitzer aufnehmen sollten. Am nächsten Abend saßen wir in seinem Büro. Herr Theobald lebte in einem Hinterhaus, das auf dem selben Grundstück stand, auf dessen Frontseite „unser“ Haus gebaut wurde. Als wir von dem sehr sympathischen, älteren Herrn hörten, dass noch eine Drei-Zimmer-Wohnung frei sei, waren wir sehr erleichtert. Er war auch bereit, sie an uns zu vermieten.
„Haben Sie Kinder?“ fragte er. Als wir verneinten, klärte uns Herr Theobald darüber auf, dass bei einem sozialen Wohnungsbau bestimmte Regeln gelten. So stünden zwei Personen auch nur zwei Zimmer zu. „Wenn Sie eine Drei-Zimmer-Wohnung möchten, müssen Sie einen Baukostenzuschuss in Höhe von DM 5000.– zahlen. Außerdem muss eine Verdienstbescheinigung vorgelegt werden, weil ein bestimmtes Einkommen nicht überschritten werden darf. Da Willis Gehalt bei der Maschinenfabrik Hartmann dieses Limit nicht überschritt, und er nichts von seinen Nebeneinkünften erzählte, bekamen wir die Wohnung.
Der Mietpreis betrug DM 220.– und war auf 25 Jahre festgelegt. Erhöht werden konnten in dieser Zeit nur die Nebenkosten.
Noch bevor der Bau beendet war, starb Herr Theobald. Die Erben waren seine Schwester und ihr Mann. Ebenfalls sehr nette ältere Menschen. Diesmal hatten wir Glück mit unseren Vermietern.
Im November 1966 konnten wir in unser neues Reich einziehen. Beim Umzug half wieder unser Freund Günter.
Die neue Wohnung gefiel uns. Besonders vorteilhaft war, dass unser Kegellokal genau gegenüber dieser Wohnung lag. Außerdem hatte Willi nun auch ein eigenes Arbeitszimmer, in dem er so manchen Roman für die PERRY RHODAN-Serie und andere Projekte des Moewig-Verlags schreiben sollte. Und wir hatten endlich einen eigenen Telefonanschluß.
Am 29.9.66 schrieb Kurt Bernhardt seinen letzten Brief an Willis alte Adresse. Er bestätigte den Erhalt des Manuskripts für PERRY RHODAN Nr.278 „Die schmutzige Neun“. Der Roman erschien später unter dem Titel „In geheimer Mission auf Lemuria“.
K. Bernhardt schrieb außerdem:
Ich lasse Ihnen den Vertrag beiliegend zugehen und Sie werden dabei feststellen können, dass wir aufgrund der bisher weiteren guten Entwicklung der PERRY RHODAN-Serie das Honorar erhöht haben. Ich freue mich natürlich sehr, dass ich Ihnen diese Honorarerhöhung mitteilen kann und hoffe, dass dieser gemeinsame Erfolg mit dazu beitragen wird, unsere Zusammenarbeit zu vertiefen.
Der Verlag hat die Absicht, Ende Oktober die übliche Redaktionsbesprechung aller Autoren wieder in München stattfinden zu lassen. Sie werden den genauen Termin hierfür noch rechtzeitig erhalten.
Inzwischen werden Sie erfahren haben, dass die PERRY RHODAN-Serie verfilmt wird. Die Grundlage für diesen Film sind die PERRY RHODAN-Bände 1-3. Wir wünschen uns natürlich, dass noch eine weitere Reihe PERRY RHODAN-Filme herauskommt und dass dann die Bände, nach denen die Filme gedreht werden, aus Ihrer Feder stammen.
Dass ein PERRY RHODAN-Film in Arbeit war, wussten wir natürlich. Karl-Herbert Scheer hatte eine Einladung zu den Dreharbeiten nach Rom bekommen. Am Tag seiner Rückkehr fuhren wir zu Heidrun Scheer nach Friedrichsdorf. Von dort machte sich Willi auf den Weg zum Flughafen, um KHS abzuholen. Zu Hause angekommen, gab dieser einen ausführlichen Erlebnisbericht ab.
„I'm your father!“, habe er sich bei Lang Jeffries, dem PERRY RHODAN Darsteller, vorgestellt. Als dieser ihn nur verwundert ansah, klärte KHS den Schauspieler darüber auf, wen er vor sich hatte.
Leider hatte der Verlag nach diesem ersten Film nicht den Mut, einen zweiten Versuch zu starten. Der Film war, wie jeder weiß, kein gelungenes Projekt.
Anfang November 1966 fuhren Willi und Herbert zur jährlichen PERRY RHODAN Besprechung nach München. Diesmal blieben Heidrun und ich zu Hause. Ich verbrachte drei Tage bei Heidrun in Friedrichsdorf.
Willi Voltz hatte sich inzwischen dazu entschlossen, seinen seitherigen Beruf aufzugeben und nur noch als freier Schriftsteller tätig zu sein. Über dieses Thema wurde in München ausgiebig gesprochen.
Endlich sollte Willi für seine Mitarbeit an den Exposés und seinen Beitrag an Ideen auch ein kleines Gehalt bekommen. Es war vergleichsweise wenig, aber zumindest ein Anfang. Willi sah seine Mitarbeit an den Exposés als notwenig an. „Es muss weitergehen!“, sagte er. „Wenn ich Herbert nicht unterstütze, schadet es der Serie – und das will niemand! Herbert hat mir dazu verholfen, bei der PERRY RHODAN-Serie einzusteigen. Dafür bin ich ihm dankbar." Als ich einmal von Ungerechtigkeit sprach, meinte Willi: „Lass nur, meine Zeit kommt noch!“ Wie so oft in unserer gemeinsamen Zeit bewunderte ich seine Geduld und Ausdauer.
Am 1.12.66 schrieb Kurt Bernhardt, der sich von Willis Mitarbeit vor allem auch eine Unterstützung beim Einhalten der Termine versprach, den ersten Brief an unsere neue Adresse.
Teil 11
In unserer neuen Wohnung hatten wir uns eingerichtet und Willi konnte zum ersten Mal in seinem eigenen Zimmer arbeiten. Geschrieben wurde immer noch auf der alten Schreibmaschine, Marke OPTIMA, die er von K.H. Scheer gekauft hatte.
Das Jahr 1967 begannen wir mit Freunden. Wie immer in unseren jungen Jahren war der Beginn eines neuen Jahres etwas Besonderes und ein Anlass zum Feiern.
Es sollte ein ereignisreiches Jahr werden.
Am 14. Januar 1967 erschien Band Nr. 278 „In geheimer Mission auf Lemuria“ von William Voltz, in dem als Neuigkeit die erste Ausgabe der PERRY RHODAN-Lexikon-Seite gebracht wurde. Diese Seite sollte dazu beitragen, die inzwischen große Anzahl RHODAN-spezifischer Begriffe den Lesern verständlicher zu machen.
Am 10. und 17. Januar kamen die Verträge für Willis Romane Nr.292 „Bahnhof im Nichts“ (erschienen unter dem Titel „Der Bahnhof im Weltraum“) und Nr.293 „Unternehmen Central-Station“.
Darauf folgte am 7. Februar der Vertrag für das fünfte PERRY RHODAN-Taschenbuch von William Voltz „Die Macht der Träumer“.
Dieses Taschenbuch erschien etwa zu der Zeit als der Film „SOS AUS DEM WELTALL“ in die Kinos kam (Premiere 20.10.1967).
Unser Privatleben kam auch nicht zu kurz. Gerne besuchten wir unsere alte Stammkneipe „Glühwürmchen“ in der Karlstraße in Offenbach. Es war, als wir in der Bleichstrasse wohnten, für uns „gleich um die Ecke“. Die Wirtin, eine liebe und charmante Wienerin, war neben Karl Herbert Scheer unsere Trauzeugin. Das Verhältnis unter den Stammgästen erinnerte uns immer an eine große Familie. Wir lernten nette Menschen kennen und verbrachten viele angenehme Stunden in diesem Kreis.
Zu seiner eigenen Familie hatte Willi kaum Kontakt. Sein Vater schien kein großer „Familienmensch“ zu sein, und das hatte sich wohl auf den Sohn übertragen. Ich bedauerte es sehr, dass man sich nur selten traf, denn alle Mitglieder der Familie, die ich bisher kennen gelernt hatte, waren ausgesprochen liebenswerte Menschen.
Da gab es beispielsweise Tante Ria, eine Schwester von Willis Vater, und ihren Mann Ludwig, einen Offenbacher Architekten. Onkel Ludwig erzählte gerne alte Geschichten, u.a. die vom Umzug in die Bleichstrasse Ende 1959. Willis Eltern besaßen einen riesigen Gummibaum, der zu dieser Zeit in keinem deutschen Haushalt fehlen durfte. Die überdimensionale Pflanze wuchs bis zur Decke und von dort zur anderen Seite des Zimmers. Als die Frage aufkam, wie man dieses monströse Teil in die Bleichstrasse transportieren könne, hatte Ludwig eine Idee. Er fuhr damals einen Lloyd, im Volksmund „Plastikbomber“ genannt, und schlug vor, den Gummibaum durch das geöffnete Dach in sein Auto zu stellen. Willi solle, mit einer Taschenlampe bewaffnet, die Pflanze am Ende festhalten und hinter dem Auto herlaufen.
Willi war von diesem Vorschlag nicht begeistert. „Mit mir kann man's ja machen“, meinte er und tat seinen Eltern den Gefallen. Alle Beteiligten, inkl. Gummibaum, kamen damals ohne große Schwierigkeiten in der Bleichstrasse an.
Willi arbeitete an den Romanen Nr. 299 „Am Ende der Macht“ und Nr. 301 „Die Plattform des Schreckens“. Die Jubiläumsbände wurden damals von K.H. Scheer geschrieben. Mit seinem Band Nr. 300 „Alarm im Sektor Morgenrot“ wurde M-87, der sechste PERRY RHODAN-Zyklus, gestartet.
In Band Nr. 302 erschien zum ersten Mal eine Leserkontaktseite, die damals von einem Mitarbeiter des Moewig-Verlags in München gestaltet wurde. Schon bald wurde um Willis Hilfe bei der Kontaktseite gebeten, deren Bearbeitung er später ganz übernehmen sollte.
Am 15.03.1967 unterschrieb Kurt Bernhardt den Vertrag für einen Story Band von William Voltz mit dem Titel: „Der Mann mit dem 6. Sinn“, der in der TERRA-Normal-Reihe erscheinen sollte.
Der Chefredakteur K. Bernhardt, dem die Idee zur PERRY RHODAN-Serie zu verdanken war, überraschte die Autoren mit dem Vorschlag, dass er eine separate ATLAN-Serie auf den Markt bringen wolle. KHS, der die Exposé-Redaktion übernehmen sollte, hatte berechtigte Bedenken, dass er dem Termindruck nicht standhalten könne. Er besprach das Thema ATLAN mit Willi, der ihm Hilfe und Unterstützung zusagte. K.H. Scheer begann mit der Ausarbeitung der beiden ersten Exposés.
Bereits am 23.03.1967 wurde im Moewig-Verlag in München Willis erster Verlagsvertrag für einen ATLAN Roman ausgestellt. Damals noch als ATLAN Nr.2 bezeichnet, bekam das Manuskript den Titel „Das Psycho-Team.“
Dieser Vertrag enthielt einen Nachtrag:
Der Roman erscheint unter dem Autorennamen William Voltz auf der ersten Textseite. Auf der Titelseite steht wie bei den PERRY RHODAN-Heften „Die große Serie von K.H. Scheer“ (Arbeitstitel).
Einen Monat später, am 26.4.1967, unterschrieb Kurt Bernhardt den Vertrag für Willis zweiten ATLAN-Roman „Bitterer Sieg“ (ATLAN Nr. 4). Mit dem Titel „Die Doppelgängerin“ und als Band Nr. 5 wurde der Roman veröffentlich, jedoch erst im Jahr 1969. Verlagsinterne Überlegungen hatten den Erscheinungstermin für die ATLAN-Serie verzögert.
Ebenfalls im April 1967 unterschrieb Willi den Vertrag für sein PERRY RHODAN-Taschenbuch „Tunnel in den Hyperraum“, das mit dem Titel „Tunnel in die Unendlichkeit“ und als Nummer 42 erscheinen sollte.
Wir freuten uns auf Pfingsten. Unser Kegelclub plante eine Busreise nach Paris, und wir konnten den Tag der Abreise kaum erwarten. Wir waren noch nie in Paris. Endlich war es so weit. Wir trafen uns donnerstagabends mit unseren Freunden am Bahnhof in Offenbach und fuhren nach Frankfurt. Dort mussten wir zum verabredeten Treffpunkt gehen und auf den Bus nach Paris warten.
Wir nahmen unsere Plätze ein. Der Bus war nur zur Hälfte besetzt. Das sollte sich in Karlsruhe ändern, denn dort wurde gehalten, um weitere Fahrgäste aufzunehmen.
Damals waren die Busse noch nicht so komfortabel wie heute. Es störte uns nicht, dass wir viele Stunden auf einem engen Sitz verbringen mussten und nur selten eine Gelegenheit bekamen die Beine zu vertreten.
Als es langsam hell wurde, näherten wir uns Paris. An einer Raststätte nahmen wir ein kleines Frühstück zu uns. Es gab französischen Kaffee und ein Croissant. Die Busfahrer wurden wie alte Freunde begrüßt und wir nahmen an, dass sie „ein bisschen was davon hatten“, dass sie die Fahrgäste in diese Raststation brachten.
Die Fahrt ging weiter und endlich sahen wir die ersten Wahrzeichen von Paris. Wir wurden mitten in die Stadt gefahren. In einer Seitenstraße hielt der Bus. „Dies ist Ihr Hotel“, sagte der Begleiter. „Wir und einige der Fahrgäste sind in dem Hotel gegenüber.“ Die Vermutung lag nahe, dass das Hotel gegenüber das bessere war. Aber was konnten wir verlangen für einen Gesamtpreis von DM 76.–, der drei Übernachtungen mit Frühstück sowie die Busfahrt beinhaltete?
Das Hotel wurde von einer resoluten, rothaarigen Dame geleitet. Das einzige Personal, das wir in diesen drei Tagen zu sehen bekamen, war eine kleine, ältere Frau, die offensichtlich nur noch auf einem Auge sehen konnte. Uns wurde erklärt, dass in dem winzigen Raum neben der Rezeption das Frühstück serviert wurde, aber nur für die Gäste von der letzten Etage.
Die Frau deutete uns an, ihr zu folgen. Es gab nur einen kleinen Aufzug, und wir entschlossen uns, die Treppen zu benutzen. Im dritten Stock wurden die ersten Zimmer verteilt. Danach ging es weiter in die vierte, scheinbar letzte Etage. Als alle Zimmer belegt waren, standen neben Willi und mir noch zwei Paare auf dem Flur. Wir sahen uns fragend an. Wo sollten unsere Zimmer sein? Waren nicht genug Zimmer reserviert worden? Die Hausdame erzählte uns etwas, wovon wir kein Wort verstanden. Wir folgten ihr zum Ende des Ganges. Sie zog an einer Schnur die von der Decke herunterhing. Die Decke öffnete sich und es kam eine Leiter herunter. Wir sahen uns erstaunt an und fragten uns, ob wir wirklich über diese Hühnerleiter zu unseren Zimmern gelangen würden. Es war so. Die Frau zeigte uns durch Handbewegungen an, dass wir nach oben gehen sollen. Im Dachgeschoss angelangt stellten wir fest, dass es dort noch drei Zimmer gab. Willi und ich entschieden uns für das Zimmer auf der rechten Seite des Ganges. Es war ein kleines Zimmer mit einer Luke, die einen typischen Blick über die Dächer von Paris bot. Vor dem Fenster stand ein französisches Bett und hinter einer Bretterwand waren ein Waschbecken und – wir waren schließlich in Frankreich – ein Bidet untergebracht. Mit gemischten Gefühlen sahen wir uns um. Das Bett schien frisch bezogen zu sein, dagegen war das Waschbecken mehr als verschmutzt. Wir sahen nach unseren Freunden, um zu erfahren, was sie von dieser Unterbringung hielten.
„Na ja, meinte Winfried, „ einladend ist es nicht, aber wir haben keine andere Wahl!“ So dachten auch Willi und ich. Willi meinte, dass wir wohl die wenigste Zeit im Zimmer verbringen würden, und alle stimmten zu. Wir hatten uns gerade mit unserer Situation abgefunden, als Helga heraufkam. „Wo hat man euch denn untergebracht?“ rief sie verwundert. „Marianne will wieder nach Hause fahren. Sie weigert sich, in diesem Hotel zu bleiben.“
Wir gingen nach unten und stellten fest, dass unsere Kegelfreunde ein weitaus besseres Zimmer hatten als wir. Es war größer, hatte richtige Fenster und machte einen wesentlich besseren Eindruck. Marianne war verzweifelt. „Komm' mal mit“, sagte ich zu ihr. „Ich möchte dir etwas zeigen!“ Als sie unser Zimmer sah, fragte sie erstaunt: „Und ihr bleibt hier?“ Wir überzeugten sie davon, dass wir für diesen Preis nichts Besseres erwarten konnten, und dass wir bereit waren, die Situation zu nehmen wie sie nun einmal war.
Jetzt wussten wir auch, warum nur die Bewohner der letzten Etage das Frühstück in dem kleinen Raum einnehmen mussten. Die alte Hausdame brachte jeden Morgen das Frühstück zu den Zimmern. Da es für sie unmöglich war, mit den Tabletts die Hühnerleiter hinaufzuklettern, wurde für uns unten serviert.
Niemand fuhr frühzeitig nach Hause und wir hatten ein wunderschönes Wochenende mit den unterschiedlichsten Erlebnissen, über die wir noch nach Jahren sprachen. Wir stellten schnell fest, dass es teuer war in Paris gut zu essen. Am ersten Tag brachten uns die Busfahrer in ein Mittelklasse-Restaurant zum Mittagessen. Auch hier waren die beiden gut bekannt. Zwei unserer Kegelfreundinnen wollten nur Salat essen, weil sie nicht sehr hungrig waren. Es war eine unangenehme Überraschung für Sie, als sie feststellten, dass sie das ganze Menu bezahlen mussten, aus dem der Salat serviert wurde. Andere Länder – andere Sitten. Wir mussten uns mit diesen vertraut machen und aßen fast nur noch französische Sandwichs. Sie waren gut und billig.
Zum Schlafen kamen wir kaum – und das war uns recht so. Alle wollten in diesen paar Tagen so viel Paris wie nur möglich aufnehmen und erleben.