Teil 14
Zu unserer kleinen Silvester-Party kamen auch Siegfried und Gerda Riebow. Gerda war eine alte Schulfreundin von Helga, und wir lernten die beiden kennen, als wir gemeinsam bei unseren Freunden Walter und Helga eingeladen waren.
Riebows damals achtjährige Tochter Anke verbrachte die Silvesternacht bei meiner Mutter.
Wir hatten einen angenehmen und gemütlichen Jahreswechsel und hofften alle, dass das neue Jahr uns nur Gutes bringen wird.
Auch für die PERRY RHODAN-Serie sollte es positiv weitergehen. Dies war dem Verlag und den Autoren sehr wichtig und jeder versuchte, seinen Anteil zum Erfolg beizutragen.
Dass nicht immer alles reibungslos verlaufen konnte, war verständlich. Die PERRY RHODAN-Serie hatte einen Umfang angenommen, den niemand erwartet hätte. Der Wunsch, diesen Erfolg fortzusetzen, war bei Verlag und Autoren groß. Kurt Bernhardt, der Cheflektor des Arthur Moewig-Verlags, hatte seine eigene Art, die Autoren zum Erfolg zu treiben. Er konnte laut, aufbrausend und manchmal auch persönlich werden. Je nach Sensibilität des betroffenen Autors reagierte dieser mehr oder weniger empfindlich. Manche Telefongespräche zwischen Willi und Kurt Bernhardt wurden durch das Aufknallen des Hörers beendet. Ein paar Minuten später rief Bernhardt wieder an und die Unterhaltung wurde in ruhigem Ton fortgesetzt. Mich erinnerte der Cheflektor oft an das berühmte Männchen aus der Zigarettenwerbung.
Inzwischen war ein Problem entstanden, das zeitweise einen reibungslosen Arbeitsablauf fast unmöglich machte. Es kam nicht aus dem Verlag und auch nicht von den Autoren. Was jedoch beide an den Rand der Verzweiflung brachte, war die Einführung der Mehrwertsteuer.
Es gab ständig Missverständnisse bei den Abrechnungen, und selbst die Steuerberater waren anfangs überfordert. Die Folge war, dass es gleich zu Beginn des neuen Jahres zu einem regen Briefwechsel zwischen Verlag und Autoren kam.
Am 8.2.1968 schrieb WiVo an den Herstellungsleiter des Moewig-Verlags, Willi Hauck, folgende Zeilen:
Ballade eines ehemaligen SF-Autors
(jetzt Berechner von MwSt.)
Einst schrieb ich Romane, das waren noch Zeiten,
dann tat mir der Staat großen Kummer bereiten.
Doch ich war gefügig und untertan
und schaffte mir neue Bücher an.
Gar eifrig notierte ich Vor- und zahlbare Steuer,
doch dann begann das finanzielle Abenteuer.
Leider war nicht nur der Staat interessiert,
so ist mir inzwischen gar vieles passiert.
Ich schrieb in meine Bücher, schlug fünf Prozent zu,
da ließ mir der Müller vom Verlag keine Ruh.
Der Müller schrieb mir – und ich schrieb zurück,
mein Blut war in Wallung – zornig mein Blick.
Doch weil ich bei der MwSt. noch keine Ahnung hatte,
änderte ich zum ersten Mal meine Kladde.
Dann schrieb mir Herr Bernhardt, war das aber schön,
er wollte fünf Prozent auf den Rechnungen sehn.
Und weil ich einen Gewinn in Aussicht hatte,
änderte ich zum zweiten Mal meine Kladde.
Dann fuhr ich nach München, welch eine Reise,
nur mit den fünf Prozent war es wieder Scheiße.
Denn da sagte Herr Brede: „Ihr gewinnt ja zuviel!“
Und so ging es weiter im munteren Spiel.
Weil Herr Brede eineinhalb Prozent abzuziehen hatte,
änderte ich zum dritten Mal meine Kladde.
Ich wähnte mich in Sicherheit, alles schien zu stimmen,
da begann Herr Brede von neuem zu grimmen.
„Ich brauch eure Belege, schafft sie mir her!
Tragt sie zur Post, ich brauche sie sehr.“
Inzwischen war durch beiderseitiges Grollen,
der MwSt.- Briefwechsel zu einem Manuskript angeschwollen.
Doch weil Herr Brede den längeren Atem hatte,
änderte ich zum vierten Mal meine Kladde.
Ich schickte ihm die Belege, alles schien gut,
da packte meine Teamfreunde die Wut.
Unser Steuerberater auch was zu sagen hatte,
so änderte ich zum fünften Mal meine Kladde.
Doch einen Tag später, Schreck und Graus,
brachte der Briefträger meine Belege zurück ins Haus.
Dabei waren Briefe, Rechnungen usw.,
der Anblick stimmte mich gewiss nicht heiter.
Doch weil ich mich so gewöhnt schon dran hatte,
änderte ich zum sechsten Mal meine Kladde.
Ich hab' also Arbeit, ich habe zu tun,
kann nicht rasten und kann nicht ruhn.
Auf meinem Schreibtisch türmen sich Briefe, Rechnungen, Belege,
ich antworte, trage ein, ich bin tatsächlich rege.
Nur eines muß halt liegen bleiben,
wann soll ich noch PERRY RHODAN schreiben?
Deshalb „Leck' mich am Arsch, MwSt!“ ich hab es satt,
diese Ballade war wirklich mein letztes MwSt.-Blatt.
An alle, die nicht empfindlich sind,
Herrn Brede bitte auf jeden Fall …
Das Schreiben dieser Zeilen half Willi auf jeden Fall, seinen Ärger etwas abzubauen. Dass er nicht der einzige PERRY RHODAN-Autor war, der sich am Abgrund der Verzweiflung befand, zeigt ein Brief von Walter Ernsting. Die schriftstellerische Tätigkeit kam aber trotz dieser unbequemen Begleiterscheinungen nicht zu kurz.
Willi schrieb die PERRY RHODAN-Romane Nr. 343 „Planet der tausend Freuden“ und mit der Nummer 347 „Die Sucher von M-87“. Der Vorschlag des Autors für diesen Band war „Die beiden Bestien“.
Unter dem Motto „Einigkeit macht stark“ taten sich die Autoren Scheer, Ernsting, Mahn, Voltz und Gehrmann (Ewers) zu einer PERRY RHODAN-Interessengemeinschaft zusammen, der man später den Namen ARBEITSTEAM VANGUARD (ATV) gab. Die Gründung des Teams sollte die Position der Autoren dem Verlag gegenüber stärken.
In einem Brief an den Geschäftsleiter des Arthur Moewig-Verlags, Herrn Rolf Heyne, drückte es Horst Gehrmann so aus: Das ARBEITSTEAM VANGUARD wurde zum Teil gegründet, um alles das auszuschalten, was einer reibungslosen Zusammenarbeit zwischen den derzeitigen Rhodan-Autoren unter sich und dem Team und dem Verlag im Weg steht.
Am 5.Januar 1968 schrieb Willi einen Brief an seine Kollegen und teilte ihnen mit, dass er von Herrn Hauck damit beauftragt wurde, eine Zusammenfassung der Rhodan-Bände Nr.1 - 9, sowie 12 Inhaltsangaben von PERRY RHODAN-Bänden zu schreiben. Diese Zusammenstellung sollte ein repräsentativer Querschnitt durch die Rhodan-Serie sein und möglichst viele Höhepunkte beinhalten.
Zweck der Arbeit war es, die Rhodan-Serie an eine TV-Gesellschaft in den U.S.A. zu verkaufen. Wie man weiß, blieb es bei dem Versuch.
Einen anderen Versuch startete das ATV, angeführt von H. Gehrmann als „Projektleiter“. Er nahm Kontakt zum Bastei-Verlag auf und unterbreitete dem zuständigen Redakteur die Idee, eine kriminal-utopische Taschenbuchreihe mit dem Serien-Arbeitstitel „Unternehmen Omega“ auf den Markt zu bringen. Außer Gehrmann, der auch für die Exposés zuständig sein sollte, waren Scheer, Ernsting und Voltz als Autoren vorgesehen. Kneifel und Mahr plante man für später ein. Bastei war nicht abgeneigt und der zuständige Redakteur schrieb am 5.März 1968 einen ausführlichen Brief an Gehrmann, in dem er die Vorstellungen des Verlags aufführte und darum bat, einen Gesprächstermin mit allen Autoren zu vereinbaren, um „Nägel mit Köpfen“ zu machen.
Die Autoren befürworteten zwar die Idee des „zweiten Standbeins“; es gab jedoch auch die Befürchtung, dass man sich selbst Konkurrenz machen könnte. In einem Schreiben vom 11.3. drückte Walter Ernsting seine Bedenken aus. Er schrieb über Vor- und Nachteile des geplanten Projekts und meinte unter anderem: Wir haben Moewig gegenüber eine moralische Verpflichtung, der wir uns nicht entziehen können.
Unter diesen Brief setzte Walter noch eine handgeschriebene persönliche Notiz an Willi.
Der Team-Igel war ich. Willi gab mir den Spitznamen "Igel" nachdem ich mir die Haare für seinen Geschmack zu kurz hatte schneiden lassen.
In der Zwischenzeit hatte Willi die PERRY RHODAN-Romane Nr. 351 „Der versklavte Riese“ (sein Vorschlag war „Freiheit für Tro Khon“), Nr. 355 „Der Doppelagent von Rumal“ („Die Batabono Story“), sowie Nr. 356 „Ein Zeitpolizist desertiert“ („Die Spur führt mach M-87), fertig gestellt.
Am 9.2.68 schrieb Herr W. Hauck einen Brief an Willi. Wenn es im Verlag „brannte“, wusste man immer, von wem Hilfe zu erwarten war.
Herr König von QUELLE-FEATURES war über Willis Mitarbeit an den PERRY-Comics ebenfalls sehr erfreut, und es entwickelte sich über mehrere Jahre eine angenehme Zusammenarbeit.
Teil 15
Der Tag, an dem unser erstes Kind geboren werden sollte, näherte sich.
Am Freitag den 22.März hatte ich einen Arzttermin. „Es ist alles in Ordnung. Das Kind liegt gut und ist bereit für die Geburt“, meinte der Professor. Übers Wochenende bin ich in Urlaub, aber der Oberarzt, den sie von ihren Aufenthalten hier im Haus gut kennen, wird mich vertreten.“ Mit dieser Information machte ich mich auf den Heimweg.
Samstags waren wir bei unseren Kegelfreunden Marianne und Georg eingeladen, um Georgs Geburtstag zu feiern. Die beiden wohnten damals im vierten Stock eines alten Hauses in Offenbach. Wir hatten einen wunderschönen Abend, an dem getanzt und viel gelacht wurde. Es war bereits nach Mitternacht als Willi fragte, ob ich denn nicht müde sei und nach Hause gehen möchte. „Mach' Dir keine Sorgen. Mir geht's gut!“ beruhigte ich ihn. Wir verließen die Gesellschaft etwas früher als es in unseren jungen Jahren üblich war und bewegten uns vorsichtig die frisch polierten Holztreppen nach unten.
Frühmorgens wachte ich auf und spürte deutliche Anzeichen für die bevorstehende Geburt.
So leise wie möglich schlich ich ins Bad. Als ich ins Zimmer zurückkam, sah mich Willi verschlafen an und fragte, ob alles in Ordnung sei. „Ja, es ist alles in Ordnung. Du musst nur aufstehen, es ist soweit!“ sagte ich.
Willi fuhr mich ins Krankenhaus. Mit der Bemerkung: „Das dauert noch. Wir rufen sie an!“ wurde er nach Hause geschickt.
Damals war es nicht üblich, dass der zukünftige Vater bei der werdenden Mutter bleiben durfte. Man kannte es nicht anders, und unter den gegebenen Umständen fand ich das auch in Ordnung. Ich glaube nicht, dass Willi lange geblieben wäre.
Nach der Untersuchung sagte mir der Arzt, dass sich das Kind gedreht habe und nicht mit dem Kopf zuerst geboren werde. Es sei aber kein Anlass zur Besorgnis.
Am 24. März 1968, um 17:25 Uhr, wurde unser Sohn Stephen geboren. Etwa zwei Stunden später besuchte mich Willi. Er hatte fünf Tulpen in der Hand, die genauso müde aussahen wie ich. „Sonntags hat kein Blumenladen auf. Die habe ich am Bahnhof aus dem Automaten gezogen“, meinte er entschuldigend.
Bei der nächsten Zusammenkunft in der Vereinsgaststätte „Rosenhöhe“ warteten Willis Fußballkameraden bereits darauf, dass „Baasche gewäsche“ wird, wie das in bestem Offenbacher Dialekt heißt. Der junge Vater musste traditionsgemäß einige Runden Bier und Schnaps ausgeben, die auf das Wohl des neuen Familienmitglieds getrunken wurden.
Am 21.April bekamen wir Besuch von Karl-Herbert und Heidrun Scheer, sowie von Horst Gehrmann, seiner damaligen Frau und ihren beiden Söhnen. Karl-Herbert machte einige Fotos von unserem inzwischen vier Wochen alten Sohn.
Horst Gehrmann, ein sehr engagierter und aktiver Jungautor, hatte eine Grundkonzeption für einen TERRA-Taschenbuch-Zyklus erstellt, die er am 19.April mit einem Begleitschreiben an Herrn Hauck geschickt hatte. Kopien seiner „Prämeditation“ gingen an seine Autoren-Kollegen und G.M. Schelwokat.
Dieses neue Gehrmann-Projekt, das wie das „Unternehmen Omega“ nicht über die Planung hinauskam, war nur eines von vielen Themen an diesem Sonntag bei dem Treffen in unserer Wohnung in Offenbach.
Zum Mittagessen ging Willi mit unserem Besuch in ein nahe gelegenes italienisches Restaurant, die Goethe-Stuben. Ich blieb zu Hause bei meinem Baby.
Die Tatsache, dass ich als junge Mutter mehr ans Haus gebunden war, ließ Willi zu der Überzeugung kommen, dass wir einen Fernsehapparat kaufen sollten. „Du kommst ja jetzt nicht mehr so oft weg, und wenn ich abends ins Training oder zur Spielersitzung gehe, hast du ein bisschen Unterhaltung!“ So kam nach vierjähriger Ehe das erste Fernsehgerät in unseren Haushalt. Die Programmauswahl war damals noch sehr dürftig. Das störte mich jedoch nicht, denn wenn das Abendprogramm begann, war ich entweder mit meinem Kind beschäftigt, oder ich schrieb Willis Romane ab.
Im Jahr 1968 schrieb Willi noch die folgenden PERRY RHODAN-Bände:
Nr. 362 „Der Irre und der Tote“ (Das Kristallgebirge)
Nr. 370 „Verrat auf Oldman“ (Anraths Erben)
Nr. 377 „Die Wüste der strahlenden Steine“ (Satyat)
Nr. 378 „Planet der Ungeheuer“
Nr. 382 „ Planet der Ruinen“
Nr. 386 „Hilfe von Sol“ sowie
Nr. 394 „Die Bestie erwacht“ (Wiedererweckung).
Am 20.5. kam ein kurzer Brief von Kurt Bernhardt, der darauf hindeutete, dass es mit der ATLAN-Serie nun endlich „richtig losgehen“ sollte.
Urlaub sollte es in diesem Jahr keinen geben, jedenfalls nicht für mich. „Mit so einem kleinen Kind kann man keine große Reise machen“, meinte Willi. Über diese Auffassung kann man heutzutage nur noch schmunzeln. Weil meine Freundin Helga zur Kur nach Bad Ems musste, konnte sie mit ihrem Mann Walter ebenfalls keinen gemeinsamen Urlaub machen. Es dauerte nicht lange, bis aus der Idee der Plan wurde. Die Männer hatten den Entschluss gefasst, für drei Wochen nach Italien zu fahren. „Aber nicht nach Cesenatico“, sagte Willi. „Ich möchte gerne etwas anderes sehen." Lass' uns an die Riviera fahren. Walter war damit einverstanden.
Mir wäre es nicht in den Sinn gekommen, gegen diese Urlaubsfahrt zu protestieren. Die Koffer wurden gepackt und in Willis Auto verstaut.
Während seiner Abwesenheit erhielt ich noch den Vertrag für ein zuvor fertig gestelltes Taschenbuch, den ich „im Auftrag“ unterschrieb.
Ohne eine Reservierung zu machen waren die beiden Freunde in Richtung Süden gefahren. An der Riviera angekommen fanden sie ein kleines Hotel, das ihnen sehr gut gefiel. Nach etwa einer Woche stellte Walter fest, dass er an der teuren Riviera keine drei Wochen bleiben kann. Willis Opel Rekord wurde erneut gepackt und an die günstigere Adria, nach Cesenatico, gefahren. Dort wurden die beiden, wie schon im Jahr zuvor, begeistert von Walters Familie begrüßt.
Willi brachte mir ein wunderschönes goldenes Armband aus Italien mit, das ich noch heute gerne trage.
Nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub wurde Willi mit einem Problem konfrontiert, das die positive Zusammenarbeit des Teams eine zeitlang störte.
Am 24. Juni 1968 schickte Horst Gehrmann ein ausführliches Rundschreiben nicht nur an seine Kollegen, sondern auch an die Geschäftsleitung des Arthur Moewig-Verlags, Herrn Kurt Bernhardt, sowie an Günter M. Schelwokat.
In seinem vierseitigen Brief schrieb er unter anderem:
Seit längerer Zeit habe ich mir Gedanken darüber gemacht, wie das Positive in der Serie PERRY RHODAN, die zu einem festen Begriff geworden ist, noch stärker als bisher herausgearbeitet werden könnte. Jetzt, da ich bei der letzten Exposé-Folge einmal ohne Auftrag und daher ohne unmittelbaren Termindruck bin, fand ich endlich die notwendige karge Muße, meine Gedanken zu Papier zu bringen und in eine – wie ich hoffe – fruchtbare Debatte zu werfen.
Wegen der umfangreichen Basis meiner Vorschläge habe ich mich entschlossen, nicht nur die unmittelbar am Prozeß des Schreibens beteiligten Autoren und die den roten Faden liefernde Exposé-Redaktion anzuschreiben, sondern auch Herrn Bernhardt und Herrn Schelwokat als die beiden Vertreter des Moewig-Verlags, die in gleichem Maße wie wir am Aufbau der PERRY RHODAN-Serie und an ihrem kommerziellen Erfolg beteiligt waren und sind.
Karl-Herbert Scheer hielt nichts von den „gut gemeinten“ Vorschlägen seines Teamkollegen. Besonders die Tatsache, dass diese Vorschläge und Anregungen auch an den Verlag gingen, ließ KHS heftig reagieren. Gehrmanns Brief hatte ihn hart getroffen, da er, und das war verständlich, in ihm einen Angriff auf seine Arbeit sah. In seinem Antwortschreiben vom 1.Juli verschaffte sich Herbert mit deutlichen Worten Luft.
Hast Du eigentlich nicht bemerkt, welchen Schwulst Du zusammengeschrieben hast? Der Brief war eine einzige Spitze gegen mich; verpackt in Beteuerungen und rutschige Argumente.
Der sekundäre Inhalt, nämlich die Verbesserungsvorschläge, bieten absolut nichts Neues.
Die anderen Autoren reagierten auch nicht positiv auf diesen Vorstoß des etwas zu engagierten Jungautors. Walter Ernsting (Clark Darlton), der Senior der Autoren, antwortete, wie es seine Art war, kurz, aber deutlich. Er schrieb unter anderem:
Ich bin Dir sehr dankbar, dass Du Dir Verbesserungsgedanken machst. Das sollten wir alle. Aber bitte. Unter uns!
Walters Brief war unterschrieben mit: Stets Euer Veteran und Opa Walter.
In einer handgeschriebenen Notiz ließ er die Mitautoren noch wissen: Hier alles okay. Tochter und Mama wohlauf! Walter und Ursula Ernsting waren am 16.Juni Eltern einer Tochter geworden.
Die gute Zusammenarbeit des Teams sollte mit Gehrmanns Vorstoß nicht beendet sein. Die Autoren konzentrierten sich weiterhin auf das Wesentliche – PERRY RHODAN.
Ebenfalls im Juni 1968 wurde dem Ehepaar Rolf und Roswitha Heyne eine Tochter geboren.
Willis und Herberts Treffen fanden regelmäßig statt. Entweder in Friedrichsdorf oder in Offenbach. Bereits während des gemütlichen Abendessens, das entweder von Heidrun Scheer oder von mir zubereitet wurde, sprachen die beiden Autoren über die Fortführung der PERRY RHODAN-Serie. Perrys Freund ATLAN, an dessen eigener Serie seit einiger Zeit gearbeitet wurde, war inzwischen auch ein Thema für die Exposébesprechung geworden.
Nach Beendigung des „geschäftlichen“ Teils hatten wir es uns zur Gewohnheit gemacht, ein paar Runden Rommé zu spielen. Die Verlierer mussten einen kleinen Betrag in die Rommékasse bezahlen. Mit diesem Geld wollten wir uns, wenn genug zusammengekommen war, zum Abendessen treffen – in der Frankfurter Stubb. Herbert war der Verwalter unserer Kasse. Da wir uns oft trafen und eifrig spielten, hatte sich die Kasse bald gefüllt und es reichte, um in dem Frankfurter Gourmet-Restaurant speisen zu können. Wir freuten uns auf den Abend und das gute Essen. Alles verlief erwartungsgemäß.
Als der Ober die Rechnung brachte, schauten wir alle erwartungsvoll auf Herbert. Nach kurzer Prüfung der Rechnung griff er in beide Taschen seines Jacketts und brachte mehrere Röhrchen zum Vorschein, die einmal zur Aufbewahrung von Tabletten gedient hatten. In ihnen waren die Münzen untergebracht, die wir in die Rommékasse einbezahlt hatten.
Während wir noch überlegten, ob die Situation lustig oder peinlich ist, erklärte Herbert dem etwas verdutzt dreinblickenden Kellner: „Wissen Sie, wir spielen regelmäßig Karten, und dies ist das erspielte Geld. Sie nehmen doch sicher auch Münzen…“ Dem armen Mann blieb nichts anderes übrig, als die gut sortierten Geldstücke nachzuzählen.
Wir waren sicher, dass er die Romméspieler so schnell nicht vergessen konnte.
Teil 16
Unsere neuen Freunde, Gerda und Siegfried, hatten sich für einen Wohnungswechsel entschieden. Sie zogen aus ihrer kleinen Offenbacher Wohnung aus und bezogen eine schöne große Wohnung im Frankfurter Stadtteil Oberrad.
Wie das bei Freunden so üblich ist, halfen auch wir beim Umzug. Nach einigen Stunden körperlicher Arbeit wurde eine Pause im neuen Wohnzimmer eingelegt. Es wurde gegessen und getrunken, um sich für den Rest des Tages noch einmal Kräfte zu verschaffen. Willi saß auf einem Hocker und schaukelte leichtsinnig hin und her. Es kam wie es kommen musste – der Hocker kippte mit Willi nach hinten – genau in die Balkontür, deren Glasteil unüberhörbar zu Bruch ging. Es wurde uns schnell bewusst, dass Willi großes Glück hatte. Außer ein paar leicht blutenden Kratzern, die schnell mit ein paar Pflastern versorgt wurden, hatte er keine Verletzungen davongetragen.
Im Nebenzimmer meldete sich Stephen. Der Lärm hatte ihn offensichtlich geweckt. Als ich ihn aus seinem Wagen hob, stellte ich fest, dass das erste Zähnchen zu sehen war. Voller Stolz zeigte ich es jedem.
Über Willis Unfall wurde noch lange gesprochen, und die am häufigsten geäußerte Bemerkung war: „Wie gut, dass nicht mehr passiert ist!“
Die PERRY RHODAN-Serie gab es inzwischen seit sieben Jahren. Sie lief weiterhin gut und die Verkaufszahlen verbreiteten berechtigten Optimismus. Es wurde viel geworben für die bekannt und groß gewordene Science-Fiction-Serie. Im Verlag wurde überlegte, was man außer guten Romanen auf den Markt bringen kann, um den Lesern eine Freude zu machen. Es gab inzwischen einen roten Plüsch-Gucky und es wurden Rhodan-Figuren hergestellt. Die zu dieser Zeit modern gewordenen Buttons durften nicht fehlen.
Kurt Bernhardt versuchte auf seine Art die für die Exposés zuständigen Autoren, Karl-Herbert Scheer und William Voltz, zu neuen Ideen zu motivieren. Oft, und man hatte den Eindruck, dass er es auch gerne tat, drückte Kurt Bernhardt seine Vorstellungen über die Weiterführung der PERRY RHODAN-Serie mit großem Szenario aus. Nicht selten sprang er auf, um seinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen. „Mit Band 400 muss eine Bombe platzen!“ So ließ er die Autoren wissen, dass er sich für den nächsten Zyklus etwas ganz Besonderes und völlig Neues wünschte.
Für die Zeit vom 28.11. bis 30.11.1968 lud der Cheflektor das Autorenteam zu einer Konferenz nach München ein, um den siebten Zyklus der Serie zu besprechen.
KHS und WiVo bereiteten sich auf die Zusammenkunft vor. Nachdem sie den nächsten Zyklus besprochen und sich Notizen gemacht hatten, fuhren sie gemeinsam nach München.
Das Team bestand aus den Autoren Clark Darlton, K.H. Scheer, William Voltz, H.G. Ewers und dem neu hinzugekommenen Hans Kneifel. Der in den U.S.A. lebende und arbeitende Mitautor Kurt Mahr nahm an den jährlichen Treffen zu dieser Zeit nicht teil. Außerdem waren anwesend der SF-Lektor Günter M. Schelwokat und der Cheflektor Kurt Bernhardt.
Nach drei Tagen, an denen viel gearbeitet wurde, der Spaß und das gesellige Beisammensein aber auch nicht zu kurz kamen, fuhren die Autoren wieder nach Hause und starteten den Zyklus „DIE CAPPINS“.
In Willis Unterlagen des Jahres 1969 befindet sich ein für die Rhodan-Leser verfasstes Protokoll über die Autorenkonferenz in München vom November 1968, gefolgt von einer fast dreiseitigen Zusammenfassung der Ideen für die Bände 400 bis 449, die überschrieben war mit:
DIE EPOCHE DER ERNEUERUNG
Unterzeichnet war dies mit (w. voltz).
Es war für mich leicht zu erkennen, dass diese Zeilen nicht auf Willis, sondern auf der Scheerschen Schreibmaschine geschrieben wurden. Eine handgeschriebene Notiz von Heidrun Scheer und ganz besonders der Inhalt dieses Schriftstücks machen deutlich, dass es nicht aus Willis „Feder“ stammen kann.
Der Cheflektor schrieb an Willi: …ich habe Ihren Text für das Vorwort und für die Information unserer Leser gelesen und muß Ihnen sagen, daß ich damit nicht einverstanden bin. Er machte seine Meinung deutlich und schrieb zum Abschluß: Eine Honorierung dieser Arbeit kann ich Ihnen – so leid es mir tut – nicht zugehen lassen.
Der Anlass für diese Teamarbeit ist heute nicht mehr nachvollziehbar.
Das Jahr 1968 hatte uns nicht nur das so sehr gewünschte Kind beschert, sondern auch die Gewissheit, dass wir bald ein zweites haben werden. Wir freuten uns darauf und hofften natürlich auf ein Mädchen. „Die Chancen stehen fifty-fifty“ und „Hauptsache gesund“ waren meine Kommentare, wenn Willi seinen Wunsch nach einer Tochter äußerte. Als voraussichtlicher Termin für die Geburt wurde der 7. Juni angegeben.
Den Jahreswechsel 68/69 feierten wir im Vereinsheim der Sportgemeinschaft Rosenhöhe. Stephen verbrachte die Nacht bei unseren Rosenhöh'-Freunden Marianne und Heinz. Mariannes Mutter hatte sich bereit erklärt, nicht nur ihre Enkelkinder, sondern auch unseren Stephen in dieser Nacht zu beaufsichtigen. Willis Eltern taten sich anfangs etwas schwer mit dem „Großelternsein“, und meiner Mutter, die gerne geholfen hätte, ging es gesundheitlich nicht gut. Wir freuten uns über die Unterstützung und holten nach einer sehr schönen Silvesternacht unser Kind wieder ab.
Willi arbeitete an dem PERRY RHODAN-Band Nr. 397, der mit dem Titel „System der 13 Monde“ erscheinen sollte.
Der neue Zyklus hatte begonnen und Willi schrieb Band Nr. 401 „Aufbruch ins All“ (sein Titel: Mission aus der Zukunft). Den Jubiläumsband Nr. 400, der mit dem Titel „Menschheit im Zwielicht“ erschien, verfaßte K.H. Scheer. Clark Darlton war mit Nr.402 „Ufos in der Galaxis“ an der Reihe.
Auf die Mitarbeit des Autors Kurt Mahr musste das Team zukünftig verzichten. Nach Unstimmigkeiten mit dem Cheflektor kündigte er seine Tätigkeit für die PERRY RHODAN-Serie mit einem Schreiben vom 15.März 1969. Willi bedauerte das Ausscheiden seines Teamkollegen sehr. Das Schreiben der Rhodan-Romane war somit den Autoren Darlton, Voltz, Ewers und Kneifel überlassen.
K.H. Scheer schrieb die Jubiläumsbände und arbeitete gemeinsam mit Willi an den Exposés für Rhodan und Altan. Gesundheitlich ging es KHS nicht gut. Es war ein ständiges Auf und Ab, und niemand wusste genau, was ihm eigentlich fehlte. Ich erinnere mich an einen Freitag, an dem wir zur Exposébesprechung nach Friedrichsdorf fuhren und nach einem kurzen Gespräch mit Heidrun Scheer an der Tür unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren mußten. Heidrun Scheer wirkte sichtlich erschöpft als sie uns erklärte, dass ihr Mann im Bett liege und es ihm nicht gut ginge. Es war uns schon seit langer Zeit bewusst, dass KHS ohne die Unterstützung seiner Frau noch weitaus größere berufliche Probleme gehabt hätte.
„Lange kann das Heidrun nicht mehr mitmachen“, meinte Willi auf dem Heimweg. „Sie ist ja völlig fertig!“
Zu Hause setzte sich Willi an die Schreibmaschine und brachte seine Gedanken für die nächsten Bände aufs Papier.
Walter Ernsting und Willi hatten regen schriftlichen Kontakt. Telefoniert wurde selten. Walter war sparsam, was man an seinen Briefen immer wieder erkennen konnte. Durchschlagpapier wurde beidseitig beschrieben, Kalenderblätter wurden zu Briefpapier umfunktioniert oder DIN A 4 Blätter halbiert, wenn er nicht viel zu schreiben hatte. Walter gehörte zu der Generation, die sehr schlechte Zeiten durchleben musste, und die prägen nun einmal die Menschen. Seine Briefe hatten trotzdem fast immer einen lustigen Touch. Selbst wenn es um heikle Themen ging, war er noch zu einem Spaß bereit. So war er halt! Ein Beispiel von vielen ist sein Schreiben vom 24.2.1969, das er nach dem Besuch eines Fernsehteams (Monitor) im Hause Scheer an Willi schickte.
Zum Thema Monitor äußerte sich auch der PERRY RHODAN-Fan Dirk Hess.
Er schrieb an Willi:
…nach dem grauenhaften TV-Bericht kurz ein paar Zeilen. Ich hoffe, Sie haben alles ohne ernste Schäden überstanden. Aber im Grunde war es ja zu erwarten. Warum hat Herr Scheer Sie und W.E. nicht als seine Mitarbeiter vorgestellt und somit eine weniger konzentrierte und in zweideutige Kanäle einmündende Interpretation verhindert? Es ist verdammt schade, daß auch diese Chance verpuffen musste…
Mit seinem Brief schickte Dirk Hess dieses Bild (siehe Foto "Monitor").
Im Februar 1969 wurde die ATLAN-Serie mit dem K.H. Scheer Roman „Das galaktische Syndikat“ gestartet. Die Serie erschien anfangs monatlich und Willi freute sich auf die neue Aufgabe. Er konnte nicht ahnen, dass das ATLAN-Thema ihn noch sehr beschäftigen würde.
Beschäftigt war Willi auch mit den Risszeichnungen. Wenn Rudolf Zengerle, der ebenfalls in Offenbach wohnte, eine Zeichnung fertig gestellt hatte, brachte er sie persönlich zu uns nach Hause. Er erklärte Willi in allen Einzelheiten seine Arbeit und begann danach über Gott und die Menschheit zu diskutieren. Der Risszeichner ließ kein Thema aus und er wusste zu allem etwas zu sagen. Die Zengerle-Abende dauerten immer sehr lange.
Seit Band Nr. 278 hatte der erste Risszeichner Unterstützung von Ingolf Thaler, der für diesen Roman den Imperiumskreuzer CREST II zeichnete. In Band Nr. 432 erschien Bernard Stoessels erste Risszeichnung – ein Bergungs- und Flottentender der Mastoden-Klasse.
Die Arbeit an der PERRY RHODAN-Serie ging für Willi weiter mit den Bänden Nr. 404 „Piraten-Lady“ (Die böse alte Lady) und Nr. 408 „Amoklauf der Mutanten“ (Die Second Genesis Krise).
Es lief alles perfekt – hätte man annehmen können. Es waren jedoch erneute Schwierigkeiten zwischen den Autoren Scheer und Gehrmann aufgetreten. Leserbriefe trugen dazu bei, die Stimmung noch anzuheizen.
Wieder wurde viel Zeit damit vertan, Briefe hin und her zu schicken. Aber auch dieses Problem löste sich irgendwann – so, als hätte es nie eines gegeben.
Vielleicht waren diese Diskussionen einfach nötig und nicht zu vermeiden. Die Autoren, die zwar für die selbe Sache arbeiteten, oder wie Kurt Bernhardt gerne sagte, an einem Strang ziehen sollten, waren doch von sehr unterschiedlicher Persönlichkeit. Der Cheflektor in München wusste jedoch, wie er „seine“ Autoren immer wieder an einen Tisch bringen konnte.