Reise nach Prag
von Siegfried Riebow
Im Sommer 1973 erhielten wir, die Fußballer der SG Rosenhöhe, eine Einladung zu einem Tournier nach Prag. In die Freude mischte sich ein etwas flaues Gefühl im Magen, ging es doch in den bei Allen recht unbekannten Ostblock. Hinter den so genannten „Eisernen Vorhang“.
Die nächste Frage, die sich für Willi und mich stellte war, wie können wir unser Taschengeld für die Tage in Prag aufbessern. Von so genannten Insidern wurde uns gesagt, 1 zu 10 (DM gegen Kronen) wäre zurzeit der inoffizielle Kurs. Na das hörte sich doch schon ganz gut an. Weiter wurde uns erzählt, Lederjacken wären sehr beliebt und gesucht.
Ich machte mich gleich auf die Suche nach einer guten und preiswerten Jacke. Bei Neckermann in der Frankfurter Straße wurde ich fündig. Willi wollte mich vom Kauf der Jacke abhalten.
„Höre auf deinen älteren Freund, wir kommen auch ohne die Jacke zurecht.“, sagte er mir.
Dieser Angeber, wegen der acht Tage die er älter war, blieb ich immer der Jüngere und Kleinere von uns beiden. Was ja auch stimmte. Die Jacke kaufte ich trotzdem.
Es kam der Tag der Abreise nach Prag. Bis zur Deutsch-Tschechischen-Grenze ging es mit dem Bus recht zügig voran. An der tschechischen Grenze mussten wir trotz offizieller Einladung eine zeitaufwendige und nervende Kontrolle über uns ergehen lassen. Wir waren noch nicht lange aus dem Blickfeld der Grenzposten, da kam der erste Stopp und ein illegaler Geldwechsler bot uns seine Dienste an. Sein Angebot lag bei 1zu 8, angeblich der zurzeit bestmögliche Kurs. Für Willi und mich natürlich nicht der Diskussion wert, hatten wir doch bessere Informationen.
Das Thema Geldumtausch begleitete uns von jetzt an bis zu unserer Rückreise auf Schritt und Tritt. Ob auf der Straße, im Hotel, im Restaurant, im Fahrstuhl, ja selbst auf der Toilette wurden wir immer wieder zwecks Geldumtausch angesprochen. Aber keiner bot den von uns gewünschten Kurs.
Am nächsten Tag machten Willi und ich einen Bummel durch die Altstadt und über den Wenzelsplatz und siehe da, unsere Geduld und das lange Warten wurden endlich belohnt. Wir zwei schlauen Scheitelträger, so wurden wir von vielen bei der SGR genannt, fanden einen Geldwechsler, der den von uns gewünschten Kurs von 1 zu 10 akzeptierte.
Ab in eine kleine dunkle Gasse, wir geben jeder 100 DM und erhalten je einen Schein über 1000 Kronen. Zufrieden setzten wir unseren Bummel fort, um später in das Café des Grand Hotels einzukehren. An unserem Nebentisch saßen vier ältere Herren und die übliche Frage, „Wollen Sie noch tauschen?“, ließ nicht lange auf sich warten. Wir kamen mit den Herren ins Gespräch, sie sprachen sehr gut deutsch, und auf die Frage, wie wir getauscht hätten, kam unsere stolze Antwort: 1 zu 10. Die vier Herren antworteten fast gleichzeitig, das sei zurzeit nicht möglich, 1 zu 8 wäre der höchstmögliche Kurs.
Im laufe der Gespräche stellte sich heraus, dass die Vier den illegalen Geldumtausch der Stadt kontrollierten und das Café im Grand Hotel wohl ihr Hauptstützpunkt war. Es wechselten ständig größere Geldbeträge die Besitzer. Unsere Zeit zum Bezahlen war gekommen.
Kaum hatten wir unsere Kronen hervor geholt, kam vom Nebentisch schon die Frage: „Ist das das Geld welches Sie erhalten haben? Geben Sie mir mal den Schein.“ Ehe wir reagieren konnten, war das Geld in der Mitte durchgerissen. Unser Erstaunen war groß und nur der Respekt vor dem Alter der Herren ließ uns von einer schnellen unüberlegten Reaktion abstand nehmen.
Mit der Bemerkung: „Mehr ist das Geld nicht wert! Seit 1948 gibt es in der Tschechoslowakei keine 1000 Kronen-Scheine mehr.“, erhielten wir die Teile zurück. Oh wir zwei schlauen Scheitelträger……
Die Entrüstung – ob gespielt oder echt – der Herren über ihre ach so schlechten Landsleute war recht groß und es kam die Frage: Was machen wir jetzt? Willi und ich sahen uns, wie wir es oft getan haben, kurz an und ohne lange zu reden waren wir uns einig.
Willi rief die Kellnerin und bestellte sechs Cognac. Die Überraschung war uns gelungen. Ich glaube, zum ersten Mal an diesem Tag herrschte am Nebentisch absolute Ruhe. Tauschen mussten wir natürlich auch noch, leider nur 1 zu 8.
Selbstverständlich behielten wir unser Missgeschick vor allen Mitreisenden aus Offenbach für uns. Erst Wochen später gaben wir unsere ‚tolle Umtauschaktion’ bekannt. Hohn, Spott und Schadenfreude waren entsprechend groß – aber auch das haben wir verkraftet.
Den 1000 Kronen-Schein habe ich, nicht nur zur Erinnerung an unser gemeinsames Erlebnis, noch heute. Übrigens, die bei Neckermann gekaufte Lederjacke musste ich noch lange selber tragen. Wenn die Tschechen zu dieser Zeit etwas im Überfluss hatten, waren es Geschäfte mit Lederjacken.
Fußball gespielt haben wir auch, aber der gesammelte Erfahrungswert dieser Reise ist nachhaltiger und von bleibender Erinnerung.
Teil 28
Der Wechsel in das Jahr 1974 stand bevor. Für Willi brachte das neue Jahr mehr Arbeit und noch mehr Verantwortung. Nach der Übernahme der ATLAN-Exposés war er nun auch dafür verantwortlich, die PERRY RHODAN-Serie zu steuern. Willi war voller Tatendrang und startete mit Elan in sein neues Aufgabengebiet, das ja eigentlich gar nicht mehr so neu für ihn war. Kurt Bernhardt, der Chefredakteur der PERRY RHODAN-Redaktion, besprach mit Willi, dass man KHS in die Exposé Arbeit weiterhin mit einbeziehen wolle. Er erklärte seine Gründe und einigte sich mit Willi daraufhin, dass Herbert den Datenanhang zu den Exposés schreiben solle. Es kann nicht behauptet werden, dass diese Zusammenarbeit immer reibungslos verlief. Herbert konnte nur schwer loslassen. Selbstverständlich gab es Fans, die mit dem Wechsel und der neuen Richtung innerhalb der Serie nicht einverstanden waren. Für den Fortbestand der Serie war die Übergabe an Willi jedoch die einzig richtige Entscheidung. Willi verstand es auf seine unnachahmliche Art, junge Menschen anzusprechen, ohne die Leser reiferen Alters zu enttäuschen. Er dachte und fühlte wie die Leser und drückte dies in seinen Romanen aus. Nennen wir es Einfühlungsvermögen, Zeitgeist oder einfach Willis Wesen. Für den Verlag war es wichtig, dass der Erfolg gefestigt und ausgebaut wurde, und dass jemand da war, auf den man sich verlassen konnte.
Ein Kenner der Science Fiction, Dr. Jörg Weigand, schrieb für den Gedächtnisband den Artikel "Mittler zwischen den Welten." (unten rechts.)
RHODAN und ATLAN wurden immer erfolgreicher. Die ATLAN-Serie erschien seit Band Nr. 78 wöchentlich, hinkte jedoch immer hinter dem großen Bruder PERRY her. In ATLAN-Exklusiv, Start mit Band 88, wurden die Jugendabenteuer des Arkoniden geschildert.
In den Jahren 1973 und 1974 wurde in unserem Freundeskreis oft umgezogen. Walter und Helga waren in das Elternhaus nach Rodgau gezogen, das zuvor noch ausgebaut worden war. Siegfried und Gerda kauften eine Eigentumswohnung in Offenbach. Die Brüder Peter und Wolfgang ließen auf ihren Grundstücken im Landkreis Offenbach Fertighäuser errichten, die sie im Spätsommer 1973 beziehen konnten.
Hans und Sigrid, die wir 1969 im Hause Stoll kennen gelernt hatten, besaßen ein gut gehendes Garten-Center. Der dazugehörige Laden war klein und nur ein Notbehelf. Auf dem Gelände stand auch noch das alte Wohnhaus der Großeltern, die Hans dieses Anwesen vermacht hatten. Es diente als Büro und Aufenthaltsraum. In diesen Räumen feierten wir viele und schöne Partys. Ein Anlass zum Feiern war immer gegeben. Ihre kleine Wohnung hatten Hans und Sigrid in der Nachbarschaft. 1973 wurde auf dem Garten-Center Gelände ein großer Laden mit angrenzender Wohnung errichtet. Wie bei allen anderen Umzügen halfen auch hier die Freunde. Von nun an wurde im Keller gefeiert. Dort gab es einen gemütlichen Raum mit Bar, der zum Feiern einlud.
Auch wir dachten darüber nach, unsere Wohnverhältnisse zu erweitern. Die kleine Wohnung war doch etwas eng geworden. Bevor es soweit war, plante Peter eine Geschäftsreise, die ihn nach Mexiko und Peru bringen sollte. Peter und sein Bruder Wolfgang besaßen zwei Geschäfte in Frankfurt und Offenbach, in denen südamerikanisches Kunstgewerbe angeboten wurde. Die Ware wurde vor Ort ausgesucht und bestellt. Da Peter nicht alleine reisen wollte, fragte er seinen Freund Willi, ob er ihn begleiten würde. Willi sagte zu, nachdem er sich vergewissert hatte, dass ich damit einverstanden war. Wie schon bei Willis Flug nach Thailand fand ich es schade, dass ich meinen Mann nicht begleiten konnte. Aber, dachte ich, wer weiß, ob er die Chance noch einmal haben wird, diese Länder zu bereisen.
Es wurde nach einem günstigen Flug gesucht, den man bei Iceland Air fand. Da die Maschine von Luxemburg aus startete, mussten die beiden Männer dorthin gebracht werden. Peters Frau Ute und ich begleiteten die beiden „Geschäftsreisenden“. Wir machten uns frühmorgens auf den Weg zu dem kleinen Nachbarstaat. Nachdem die Männer im Flugzeug saßen, begaben sich ihre Frauen auf die Suche nach einem guten Restaurant. Im schönen Luxemburg war es schnell gefunden und wir speisten vorzüglich. Wir machten Pläne, wie wir die drei Wochen ohne unsere Männer gestalten könnten. Danach fuhren wir nach Hause, wo Utes Mutter, die unsere Kinder beaufsichtigt hatte, schon auf uns wartete.
Unsere Pläne mussten wir sehr schnell ändern. Ute wurde krank und verbrachte eine Woche im Krankenhaus. Ihre beiden Kinder, Jörg und Christiane, kamen zu mir. Sie besuchten denselben Kindergarten wie unsere Buben. Er war nur ein paar Minuten von unserer Wohnung entfernt. Stephen war zu dieser Zeit für sechs Wochen in Bad Reichenhall, um seine chronische Bronchitis auszukurieren, so dass es nur drei Kinder zu versorgen gab.
Nach dieser Woche bekam Ralph eine Grippe. Er fühlte sich schlecht und ich nahm ihn zu mir ins Schlafzimmer. Ein paar Tage später war ich an der Reihe. Frau Groh, eine liebe, aber resolute Nachbarin, die auch gelegentlich Babysitter bei uns machte, kümmerte sich rührend um uns. Sie bestellte einen Arzt und versorgte uns mit allem was wir brauchten.
Nach sechs harten Wochen für Mutter und Kind war Stephens Kur beendet. Die Ankunft des Zuges war für 4:00 Uhr auf dem Offenbacher Hauptbahnhof angekündigt. Ich habe nie verstanden, warum man die Kinder mitten in der Nacht ankommen lassen musste. Da ich noch immer grippegeplagt war und Fieber hatte, beschloss ich, ein Taxi zu bestellen. Ich war erleichtert, als die Dame, die das Telefon beantwortet hatte, verstehen konnte, was ich ihr mit krächzender Stimme zu erklären versuchte. Wie schon seit einigen Nächten war an erholsamen Schlaf nicht zu denken. Bevor der Wecker klingelte, stand ich auf. Ich fühlte mich nicht nur schlecht, ich sah auch so aus. Das Taxi kam pünktlich und ich wurde zum Bahnhof gefahren. Das Bahnhofsareal ist nicht dazu geeignet, sich als Frau mitten in der Nacht wohl zu fühlen. Ich steuerte auf die Treppen zu, um schnell in das Gebäude zu kommen. Zwei Bahnpolizisten in blauen Uniformen kamen auf mich zu und stellten mir etwas misstrauisch die Frage, wo ich denn hin wolle. Nachdem ich den beiden Männern erklärt hatte, dass ich meinen Sohn abholen möchte und mich für meinen „Zustand“ entschuldigt hatte, sagten sie mir, dass der Bahnhof noch geschlossen sei und erst kurz vor Ankunft des Zuges geöffnet werden würde. Nach etwa zehn Minuten war es soweit und ich konnte zu dem Gleis gehen, auf dem der Zug erwartet wurde. Es war ein schönes Gefühl, nach langer Trennung mein Kind in die Arme nehmen zu können. Stephen war müde und wir wollten so schnell wie möglich nach Hause. „Wir fahren mit dem Taxi“, sagte ich und erklärte ihm, dass ich krank bin und lieber nicht selbst fahren wollte. Draußen angekommen mussten wir feststellen, dass kein Taxi dastand, das uns hätte heim bringen können. Ich hatte mich schon fast damit abgefunden, mit meinem müden Kind eine halbe Stunde nach Hause gehen zu müssen, als die netten Beamten in Blau wieder auf mich zukamen. „Gibt es ein Problem?“, fragte der eine. „Es gibt kein Taxi“, antwortete ich. „Wir werden wohl zu Fuß gehen müssen.“ „Kommen Sie, wir fahren Sie nach Hause. Wo wohnen sie denn?“ Ich sagte es ihm und wir stiegen in die „Blaue Minna“ mit vergitterten Fenstern ein. Es war mir so egal, mit welchem Auto wir fuhren – Hauptsache nach Hause. Ich werde diesen Männern ewig dankbar sein für ihre Hilfsbereitschaft und Stephen machte es offensichtlich Spaß, in einem so tollen Auto fahren zu dürfen.
Willis Heimkehr rückte näher. Da es mir immer noch nicht gut ging und ich außerdem niemanden hatte, der die Kinder beaufsichtigen konnte, bat ich Ute, alleine nach Luxemburg zu fahren. Mitten in der Nacht läutete das Telefon. Willi, der eigentlich im Flugzeug nach Luxemburg sitzen sollte, meldete sich und erzählte mir in aller Eile, dass er 25 Cent Stücke gesammelt habe, um telefonieren zu können. Er sagte, dass sie ihren Flieger verpasst hätten und umbuchen mussten. „Wir sind in Miami und fliegen später mit Lufthansa nach Frankfurt.“ Willi erzählte mir noch, dass sie den Raum, in dem sie untergebracht waren, nicht verlassen dürfen. „Du glaubst es nicht, aber die laufen hier mit Maschinengewehren herum“, sagte er. Dann wurde das Gespräch unterbrochen. Ich spürte eine leichte Panik aufkommen. Das Problem war, dass unsere Freunde auch ein halbes Jahr nach Einzug in das neue Haus noch kein Telefon hatten. Was sollte ich tun? Mir fiel Rolf ein, Wolfgangs Freund aus Bundeswehrtagen, der nur ein paar Minuten entfernt in der Nachbarschaft wohnte. Er hatte Telefon und wurde von mir gnadenlos um 5:30 Uhr aus dem Schlaf gerissen – eine halbe Stunde bevor Ute aufbrechen wollte. Ich erklärte ihm die Situation und bat ihn um Hilfe. Rolf erreichte Ute, als sie bereits im Auto saß und gerade losfahren wollte. Er hätte keine Minute später kommen dürfen.
Somit mussten wir noch etwas länger auf unsere Männer warten. Als Willi klingelte und ich den Kindern sagte, dass der Papa endlich wieder da ist, freuten sie sich. Ich öffnete ihm die Tür und wir wollten ihn herzlich begrüßen. Willi streckte beide Arme aus, jedoch nicht zur Begrüßung. „Fasst mich nicht an“, sagte er, „ich weiß nicht, was ich habe. Vielleicht ist es ansteckend!“
Willi erzählte, dass Peters Freund Jürgen in Peru zu einer Party eingeladen hatte. Die Party fand im Freien statt und zog sich über drei Tage hin. „Ich habe jede Menge Mückenstiche. Die jucken nicht nur wie die Pest, sie sehen auch komisch aus und haben schwarze Punkte.“ Er war tatsächlich übersät von diesen Pusteln. „Bist Du in einen Ameisenhaufen gefallen?“ fragte ich ihn. „Du gehst am besten gleich mal duschen und dann kommst Du in Quarantäne“, drohte ich meinem Geschäftsreisenden.
Nach ein paar Tagen sah Willi wieder normal aus und wir konnten zum Alltag übergehen.
Es war einiges an Post eingetroffen und auf Willi wartete viel Arbeit. Kurt Bernhardt wollte Willis Meinung zum DRAGON-Exposé Nr. 36 wissen. Er schrieb:
Meine Meinung ist, daß die vorliegende Story sehr schön ist. Aber grundsätzlich bin ich der Meinung, daß wir bei DRAGON auf keinem richtigen Schiff sind. Die Haupt- und Nebenfiguren sind nicht so richtig durchgezeichnet, wie es eigentlich bei einer Serie notwendig wäre. Ich möchte mal Ihre eigene Meinung hören, unabhängig davon, daß diese Meinung negativ gegen Herrn… ausfällt. Wir ziehen alle an einem Strang, und müssen uns auch bittere Wahrheiten ins Gesicht sagen können, um so erfolgreich zu sein.
Für den 16. Mai wurde eine DRAGON-Besprechung anberaumt. Hanns Kneifel führte Protokoll und verschickte anschließend an die Autoren und den Verlag seinen Tagungsbericht.
In einem Brief vom 7. März 1974, den Kurt Bernhardt an Willi schrieb, ging es wieder einmal um das Thema Frauen in ATLAN und PERRY RHODAN. Bernhardt bezog sich auf die LKS ATLAN Nr. 140. Er schrieb:
Über das Thema, daß in ATLAN und PERRY RHODAN eine Frau eine tragende Rolle spielen soll, haben wir in vielen Gesprächen diskutiert. Sie wissen, auch das weibliche Element muß in Serien wie ATLAN und PERRY RHODAN vorhanden sein. Wenn man die großen Abenteuerromane liest, spielt das weibliche Element immer eine große Rolle. Und es ist ein Vorurteil, wenn Gegner des weiblichen Geschlechts der Meinung sind, in einer SF-Romanserie wie ATLAN und PERRY RHODAN haben Frauen nichts zu suchen.
Da Sie ja ATLAN und auch PERRY RHODAN in der Hand haben, bitte ich Sie, sich zu überlegen, wie man eine Frau – ohne Sex und ohne triefende Liebe – einbauen kann. Als Freund oder Freundfeind des jeweiligen männlichen Helden...
Willis Aufgabe war es, sich reifliche Gedanken um dieses Thema zu machen und Vorschläge zu schicken.
Auch von den Kollegen kam Post. So zum Beispiel ein Brief von Hanns Kneifel vom 25. März, in dem er Willi u.a. mitteilte:
I am urlaubsreif und ziehe mich in meine winzige Klause über dem blauen sardischen Meer zurück.
Er lobte ihn außerdem für seine gute Exposé-Arbeit:
„Da ich von Dir weder Schnaps noch Prozente kassiere, darf ich Dich ruhig loben. Seit Jahren haben die Rhodans nicht mehr soviel Spaß gemacht. Ähnliches dürften Dir die lieben Kollegen bestätigen.
Von Walter Ernsting kam häufig Post. Er konnte sich deutlich Luft verschaffen, wenn ihn etwas oder jemand geärgert hatte; gleichzeitig waren seine Briefe lustig und mit seiner Art von Humor versehen. Im Februar berichtete Walter von seinem Versuch, Theater zu spielen – nur so zur Gaudi.
Stell Dir vor, ich hatte sogar eine Menge Beifall. Die Leute haben sich totgelacht, als ich über die Bühne stolperte.“
Der Nachwuchs-Schauspieler stellte es Willi frei, seinen Bericht auf der LKS-PR-Privat zu bringen. Den Weg zur Bühne hatte ihm Bibs, Walters neue und große Liebe, „geebnet“.
Im nächsten Brief berichtete Walter bereits von einer Nebenrolle in einem italienischen Western, die er vorsichtshalber angenommen habe. „Pro Drehtag 500.—DM. Ist auch nicht schlecht“, meinte Walter.
Leserbriefe gab es ebenfalls zu beantworten. Kurt Bernhardt schickte, nachdem er alle Briefe gelesen hatte, Willi die Leserpost zum Beantworten zu; jedoch nie, ohne seine entsprechenden Kommentare über die Meinungen der Leser abzugeben. Zum Thema „Frauen in PERRY RHODAN“ musste der Cheflektor noch einen, wie er meinte, letzten Brief schreiben.
Am 2. Mai schrieb Bernhardt an alle Autoren und verschickte den Handlungsabriss der PERRY RHODAN Bände 686 bis 699, den er KHS und WiVo in Auftrag gegeben hatte, damit die Autoren Gelegenheit haben, sich über die Entwicklung der Handlung bis 699 zu informieren. Außerdem wurde für den 15. bis 18. Mai 1974 eine PERRY RHODAN-Konferenz anberaumt und für diesen Zweck Zimmer im Hotel Brückenhof in Rastatt bestellt. Das Thema dieser Autorenbesprechung sollte in erster Linie die Weiterentwicklung der Serie ab Nr. 700 sein. Bernhardt bat alle Autoren, Exposés für die Diskussion zuzusenden. „Alle sollen an der Weiterentwicklung der Serie mitarbeiten“, schrieb er.
In seinem Brief vom 20.September antwortete der Cheflektor auf Willis Anfrage:
Ich komme heute auf Ihr Schreiben vom 18.d.M. zurück und bin damit einverstanden, daß Herr Mahn ab Nr.700 eine Seite Lexicon über PERRY RHODAN veröffentlicht. Auch bin ich damit einverstanden, daß jeweils ein oder zwei Begriffe, die sich aus dem betreffenden Roman ergeben, behandelt werden.
Kurt Bernhardts Brief vom 20.9. war bereits an unsere neue Adresse gerichtet. Willi hatte eingesehen, dass unsere zwar günstige, aber doch zu kleine Wohnung in Offenbach gegen eine größere getauscht werden musste. Unser Heusenstammer Freund, Hans Vogel, erzählte uns, dass ein bekannter Schlagersänger sein Haus in Heusenstamm vermieten möchte, weil er mit seiner Familie in den Schwarzwald umziehen wollte. Als ich dort anrief, um zu fragen, ob das Haus noch zu mieten sei, bekam ich als erstes die Information, dass die Miete im Monat DM 1500.– betragen würde. Das war viel Geld für ein in der Mitte stehendes Reihenhaus; ich wollte es mir jedoch ansehen und dann eine Entscheidung treffen. Am folgenden Wochenende fand ich eine Anzeige in unserer Offenbach Post, in der ein Haus in derselben Gegend für DM 850.– Miete angeboten wurde. Es wurde sofort ein Termin vereinbart. Uns gefiel das Haus, das auf einem Eckgrundstück stand und auch einen etwas größeren Garten hatte. Bevor wir es mieten konnten, mussten wir mit unseren Kindern einen Antrittsbesuch bei den Hausbesitzern, Studienräte aus Frankfurt, machen. „Es ist noch ein anderes Ehepaar, auch mit zwei Kindern, an dem Haus interessiert. Wir werden unsere Entscheidung nach den Gesprächen treffen!“ Mit dieser Information machten wir uns auf den Heimweg. Hoffend, dass man sich für uns entscheiden würde.
Teil 29
Die Vermieter entschieden sich für uns. Es war gut, dass sich unsere Söhne, wenn es darauf ankam, benehmen konnten. Der Umzug sollte im August des Jahres 1974 stattfinden. Stephen, der inzwischen in Offenbachs Schillerschule angemeldet war, wurde nach Heusenstamm umgemeldet. Die Einschulung war drei Wochen vor unserem Umzug, so dass ich in dieser Zeit unseren Erstklässler nach Heusenstamm fahren musste.
Da wir für dieses Jahr keinen Familienurlaub geplant hatten, entschieden wir uns dafür, auch Ralph eine sechswöchige Erholungskur zu gönnen. Er kam nach Bad Tölz.
Mit Hilfe unserer Freunde bewältigten wir unseren Umzug in unser gemietetes Häuschen. Notwendige Renovierungsarbeiten wurden von einem Sportfreund von der Rosenhöhe erledigt. Willi konnte man zu solchen Arbeiten nicht mehr überreden. Nach unseren bisherigen Erfahrungen war das ganz bestimmt auch die bessere Entscheidung.
Das Schlimmste war überstanden und alles stand an seinem Platz. Ralphs Kur war beendet, und diesmal durfte Willi nachts nach Offenbach fahren, um unser Kind vom Bahnhof abzuholen. Wir freuten uns darauf, endlich wieder als Familie komplett zu sein. Die Begrüßung fiel jedoch anders aus als erwartet. Mein Sohn, den ich nach wochenlanger Abstinenz gerne geknuddelt hätte, sah mich nur wortlos an – mit einem Blick, der mir unter die Haut ging. Nach ein paar Sekunden drehte er sich um und ging in das Zimmer, das von nun an sein Schlafzimmer sein sollte. Ich hatte den dringenden Verdacht, dass diese sechs Wochen nicht das waren, was Ralph sich vorgestellt hatte. Am nächsten Morgen, nach der fälligen, herzlichen Begrüßung und einem gemeinsamen Frühstück, sah die Welt wieder besser aus.
Wir lebten uns schnell ein. Unsere Söhne waren inzwischen, wie ihr Vater, Mitglieder bei der Sportgemeinschaft Rosenhöhe. Die Mitgliedsausweise wurden an unsere neue Adresse in Heusenstamm, Finkenstrasse 60, geschickt. Ich öffnete den Umschlag und stellte fest, dass auf allen Ausweisen eine falsche Hausnummer stand. „Willi“, sagte ich, „sieh' dir das an. Die haben die falsche Hausnummer auf die Pässe gedruckt!“ Anstelle der 60 war eine 25 vermerkt. Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass wir fünf Jahre später tatsächlich in das Haus mit der Nummer 25 ziehen würden. Ein merkwürdiges Versehen. Immerhin gibt es ca. achtzig Häuser in der Finkenstrasse.
Willi war froh, dass er sich wieder intensiver seiner Arbeit widmen konnte. Für die PERRY RHODAN-Serie hatte er inzwischen folgende Manuskripte an den Verlag geliefert:
Nr. 663 „Leticron" (Leticron, der Überschwere)
Nr. 667 „Wächter des Ewigen“ (Schatten aus Andromeda)
Nr. 678 „Zeus Anno 3460“
Nr. 686 „Die Flotten der Toten“ (Das Imperium der 22000 stählernen Kugeln)
Nr. 687 „Begegnung im Chaos“ (Wiedersehen im Mahlstrom)
Nr. 696 „Botschafter des Friedens“(Paradies)
Nr. 697 „Im Interesse der Menschheit“ (Hölle)
Für die DRAGON-Serie schrieb Willi Band Nr. 39 „Diener des Windes“
Der Cheflektor Kurt Bernhardt war nach dreizehn Jahren PERRY RHODAN engagiert und interessiert wie am ersten Tag. Es hatte den Anschein, dass ihm nichts entging. Im September 1974 verschickte er ein zweiseitiges Rundschreiben an alle Autoren, sowie G.M Schelwokat und den Geschäftsführer Blach.
Unter Punkt 1 schrieb er: Verschiedene Vorkommnisse veranlassen uns, darauf hinzuweisen, daß alle PERRY RHODAN-Autoren künftig ohne Ausnahme keine Interviews über die PERRY RHODAN- bzw. ATLAN-Serie gegenüber Rundfunk, Fernsehen und Presse geben, ohne hierfür die Genehmigung der Geschäftsleitung einzuholen… Er gab Anweisung, was in Zukunft zu tun oder zu unterlassen sei.
In Punkt 2 ging es um Band Nr. 700. Hierzu schrieb Bernhardt:
Die neue Richtung von PERRY RHODAN ab Nr.700 soll der Serie durch die menschlichen und gesellschaftlichen Probleme neue Spannungseffekte geben. Diese neue Linie verlangt aber auch von allen Autoren ein stärkeres Engagement als bisher und ein intensives Einfühlungsvermögen für das Handlungsgeschehen. Gefahrenpunkte für die Autoren sind u.a. die Darstellung der Lebensprobleme und der differenzierten Figuren. Es dürfen nach wie vor in den PERRY RHODAN-Romanen keine Schilderungen oder plumpe Andeutungen über den Sex vorkommen. Herr Schelwokat ist angewiesen, hierauf zu achten…
Punkt 3 beinhaltete seinen Wunsch, das Exposé Nr.702 umzugestalten. Bernhardt hatte bereits mit Willi darüber gesprochen. Er schrieb:
Nur zu Ihrer Information: In den Stummhäusern können die alten Leute nicht getötet werden. Ein solches Thema kann man eventuell in einer literarischen Buchausgabe bringen, aber nicht in einer Unterhaltungsheftreihe. Wenn die Autoren daher dieses Exposé lesen, dürfen sie keinen falschen Eindruck gewinnen. Die alten Leute werden in einem frustrierten Zustand in diesen Stummhäusern leben, ganz auf sich angewiesen und in vollständiger Einsamkeit.
Band Nr.700 war ein weiterer Meilenstein für die PERRY RHODAN-Serie und alle daran Beteiligten. Am 10.9.1974 schrieb Bernhardt an Willi.
Willi hatte die Idee, dass, beginnend mit Nr.700, ein Lexikon erscheinen sollte. Klaus Mahn (Kurt Mahr) hatte sich bereit erklärt, diese Aufgabe zu übernehmen. Seit Klaus Mahn wieder in Deutschland wohnte, hatte sich ein guter Kontakt zu Willi entwickelt, der einen regen Gedankenaustausch zur Folge hatte. Am 20.September beantwortete der Cheflektor Willis Anfrage:
…ich komme heute auf Ihr Schreiben vom 18.d.M. zurück und bin damit einverstanden, daß Herr Mahn ab Nr.700 eine Seite Lexikon über PERRY RHODAN veröffentlicht. Auch bin ich damit einverstanden, daß jeweils ein oder zwei Begriffe, die sich aus dem betreffenden Roman ergeben, behandelt werden. Eine Kopie dieses Schreibens geht an Herrn Mahn und Herr Mahn soll mir bitte darauf antworten.
Am 23.10.1974 verschickte Kurt Bernhardt ein Rundschreiben an alle Autoren. Thema war das geplante PERRY RHODAN-Jahrbuch 1974/75. Er beklagte, dass die Autoren, die von Willi in Kenntnis gesetzt worden waren, noch nicht reagiert hatten. Jeder Autor sollte einen Beitrag in Form einer Kurzgeschichte leisten.
Bernhardt schrieb:
Ich bin der Auffassung, ein Story-Wettbewerb ist für alle Autoren nicht nur interessant, sondern gibt dem Jahrbuch d e n Pfiff, um die PERRY RHODAN-Serie mit neuen Impulsen zu versehen. Letzten Endes will doch jeder Autor noch in den nächsten 10 Jahren für PERRY RHODAN schreiben, und dafür muß man auch etwas tun, auch die Autoren.
Im weiteren Verlauf seines Schreibens forderte er die Autoren zur verstärkten Mitarbeit auf:
Lange Jahre haben die Autoren immer wieder kritisiert, daß sie nicht ab und zu nach eigenen Ideen PERRY RHODAN-Romane schreiben dürfen. Nun macht es der Verlag möglich, und nun warten wir vergeblich auf Ihre Kreativität, die ausschließlich nur dem Nutzen der PERRY RHODAN-Serie dienen soll. Vergessen Sie nicht, wir stehen vor der 700. Nummer, und jeder Autor muß etwas dafür tun, daß wir wenigstens die 1000. Nummer erreichen…
Bernhardt drohte auch an, dass die Verlagsleitung das monatliche Fixum (z.B. Telefongebühren) streichen würde, wenn praktisch keine Telefongespräche mit Herrn Scheer oder Herrn Voltz zur Koordination von PERRY RHODAN geführt werden.
Das Jahrbuch war auch noch ein Thema im Schreiben vom 17.Dezember 1974.
Wie immer in der Vorweihnachtszeit fanden im Sportlerheim der Sportgemeinschaft Rosenhöhe die Weihnachtsfeiern statt. Für die Kinder kam der Nikolaus an einem Sonntag Anfang Dezember. Die Bescherung der Erwachsenen fand an den Samstagen in der Vorweihnachtszeit statt. Da Willi nicht nur bei den „Alten Herren“ als Spieler aktiv war, sondern auch bei der 1. Mannschaft und der Reserve als Spielausschuss, waren die Wochenenden vor Weihnachten regelmässig ausgebucht. Wir wollten keine dieser Feiern vermissen. Nicht in jedem Jahr stand ein Weihnachtsmann zur Verfügung. Willi, der gerne seinen Teil zur Vereinsarbeit beitragen wollte, sagte selten „nein“, wenn man ihn um einen Gefallen bat. „Du bist doch den ganzen Tag zu Hause – du hast doch Zeit...“, meinten seine Vereinskollegen.
„Ich frage mich, welche Vorstellungen manche Leute von meiner Arbeit haben“, sagte er zu mir – und deligierte einige Aufträge an mich. Als Willi gebeten wurde, als Weihnachtsmann für die 1. und 2. Mannschaft aufzutreten, gab es viel zu organisieren. Auch wollte er für jeden einzelnen Spieler und alle anderen Beteiligten einen passenden Spruch haben. Am Tag der Weihnachtsfeier sagte er morgens zu mir, dass er noch die Sprüche für die Feier machen müsse. Diese Mitteilung löste in mir leichtes Entsetzen aus. „Ich krieg’ das schon hin“, meinte Willi. Und so war’s dann auch. Der Abend sollte ein sehr gelungener werden. Auch für mich hatte mein Mann einen Spruch bereit. Er kam zu mir an den Tisch und bedankte sich für meine Unterstützung und Geduld. Seinen Vers beendete Willi mit den Worten: „...er hat Dich lieb – Dein Weihnachtsmann!“ Die Überraschung war gelungen und wurde noch durch einen wunderschönen Strauss roter Rosen gesteigert. Mit einer solchen Geste hätte ich nicht gerechnet. Der an mich gerichtete Spruch war zwar „typisch Willi“ und eine Liebeserklärung, die so nur von ihm kommen konnte; ich hätte jedoch nie erwartet, sie in der Öffentlichkeit von ihm zu hören.
Wie immer zu solchen Feierlichkeiten wurde eine Tombola aufgebaut. Viele Spenden wurden gemacht und so manches gute, alte Stück vom Dachboden geholt. Der Gewinn kam der Vereinskasse zu Gute. Als ich mir den Tisch mit den Preisen ansah, entdeckte ich ein Teil, das mir bekannt vorkam. „Ach“, sagte ich zu Willi, “sowas haben wir doch auch zu Hause!“ „Jetzt nicht mehr“, antwortete Willi und zog sich zurück, bevor ich reagieren konnte.
Trotz seines ausgeprägten und zeitweise mit Arbeit verbundenen Privatlebens kam bei William Voltz die schriftstellerische Tätigkeit nicht zu kurz. Was zu oft vernachlässigt wurde, war die Nachtruhe. Nein, Romane wurden nachts keine geschrieben; aber oft darüber nachgedacht, wie es mit PERRY RHODAN weitergehen soll. Auch die Abende für den Verein mit Training und Spielersitzungen trugen nicht dazu bei, dass mein Mann genug Schlaf bekam.
Nach einem Gespräch mit Herbert (KHS) erzählte mir Willi, dass dieser ihn gebeten hatte, für seine ZbV-Serie einen Band zu schreiben. Herbert wusste, dass diese Serie nicht Willis Richtung entsprach, brauchte aber dringend Unterstützung. Für drei Romane war bereits Kurt Mahr als „Ghost Writer“ eingesprungen. In den Taschenbüchern wurde KHS als Autor genannt, der jedoch nur die Exposés zu diesen Romanen verfasst hatte. Willi versprach, ZbV betreffend, einmalige Hilfe. Allerdings stellte er die Bedingung, dass der Roman unter seinem Namen erscheinen solle. ZbV Nr. 30, mit dem Titel „ALPHACODE HÖHENFLUG“, erschien im Jahr 1975 und blieb Willis einziger Roman für diese Reihe.