William Voltz

Biografie

Teil 38

Nach einem guten Frühstück im Hotel machten wir uns auf den Weg zum Rosengarten. Es war nur ein kurzer Fußweg und wir konnten schon erkennen, dass der Andrang groß war. Auch im Foyer herrschte bereits viel Betrieb. Uns begegneten junge und auch nicht mehr ganz junge PERRY RHODAN-Fans, die sich interessiert in den Räumlichkeiten umsahen und Ausschau nach „ihren“ Autoren hielten. Nach und nach sammelten sich die Autoren und Verlagsangehörigen, um ihre Plätze unmittelbar vor der Bühne einzunehmen. Man konnte die freudige Erregung, aber auch die Anspannung spüren. „Hoffentlich geht alles gut!“ war der häufigste Wunsch, der an diesem Vormittag geäußert wurde.

Nachdem Walter A. Fuchs, damals Mitarbeiter in der Redaktion, mit einer kurzen Ansprache den ersten PERRY RHODAN-Weltcon eröffnet hatte, kam, als der ältere der beiden Autoren der ersten Stunde, Clark Darlton auf die Bühne. In seiner lockeren, unkomplizierten Art, hatte er die Gäste schnell auf seiner Seite und allen Beteiligten etwas den Druck von der Seele genommen.

Nur Karl-Herbert Scheer war nicht so glücklich: „Jetzt hat er genau all das erzählt, worüber ich sprechen wollte. Ich weiß gar nicht, was ich jetzt sagen soll!“ sagte er zu mir. „Dir wird schon noch genug einfallen, Herbert. Du machst das schon!“ beruhigte ich ihn. Da beide über das selbe Thema zu sprechen hatten, waren Wiederholungen nicht komplett zu vermeiden. Aber auch Herbert meisterte seinen Auftritt auf seine Art und ohne Probleme.

Danach war Willi an der Reihe. Ich hatte kaum eine Ahnung, was er den Fans erzählen würde. Ich wusste nur, dass er über die Zukunft der Serie sprechen sollte, ohne dabei zu viel zu verraten. Als Willi die Besucher mit „Terraner“ begrüßte, war der Beifall groß. Band 1000, der mit dem Titel DER TERRANER gerade erst erschienen war, hatte die meisten Leser begeistert. Ein leichtes Lampenfieber glaubte ich in der Stimme meines Mannes zu erkennen. Man spricht schließlich nicht jeden Tag vor so vielen Menschen.

Nach der Eröffnungszeremonie lief das Programm weiter und die Autoren, Zeichner und Gäste waren pausenlos auf angenehme Weise gefordert. Besonders die vielen jungen Leser freuten sich darüber, dass sie ihre Autoren so hautnah erleben durften.

Für 14:00 Uhr war eine Podiumsdiskussion vorgesehen.

Für die Ehefrauen der Autoren gab es ein Damenprogramm, das die Frau des damaligen Geschäftsleiters sehr liebevoll und gekonnt organisiert hatte. Wir wurden mit dem Bus in ein rustikales, gemütliches Lokal gefahren, nahmen an einer Weinprobe teil und wurden anschließend mit einem ausgezeichneten Menu verwöhnt, das mit dem jeweils passenden Wein zu den verschiedenen Gängen gekrönt wurde.

Danach ging es zurück zum Rosengarten in Mannheim. Unsere Männer hatten die Diskussionsrunde beendet. Sie gaben den Fans bereitwillig Autogramme und beantworteten viele Fragen. Als sich der erste Con-Tag dem Ende neigte, sah man den Autoren an, dass sie sich nach einem kühlen Bier an der Hotelbar sehnten und auch der Hunger sich meldete. Irgendwann glaubte ich, meinem Mann im Kreise seiner Kollegen noch ein Stündchen gönnen zu müssen und verabschiedete mich.

Ich lag bereits im Bett als Willi anrief. „Wo bist du? Was machst du? Warum bist du nicht hier?“ fragte er. Offensichtlich unzufrieden damit, dass ich mich zurückgezogen hatte.

Ich erklärte ihm, dass ich bereits im Bett liege und lese und eigentlich auch einen gemütlichen Abschluss des Tages für die Autoren und die fleißigen Helfer nicht stören wollte. „Versteh’ ich nicht. Komm einfach noch mal runter in die Bar“, sagte er und legte auf.

Eine halbe Stunde später rief Walter A. Fuchs an und versuchte mich zu überreden, doch noch in die Bar zu kommen. Ich blieb bei meiner Entscheidung, auch in dem Glauben, dass sich die Runde bald auflösen und mein Mann müde ins Bett fallen würde. Schließlich ging es am nächsten Tag sehr früh weiter im Programm.

Es war spät in der Nacht als Willi in unser Zimmer zurückkam. Er war sehr ungehalten über mein „Nichterscheinen“.

„Ich habe es doch nur gut gemeint“, versuchte ich zu erklären. Willi begann zu erzählen. „Die Stimmung war so gut. Es war ein toller Abend. Der Klaus Mahn hat Klavier gespielt. Irgendwann kam der Kellner und bat ihn, damit aufzuhören. Er hatte Angst um das gute Stück!“

Es war schon fast wieder Zeit zum Aufstehen, als ich meinem Mann vorschlug, endlich ins Bett zu kommen. Schließlich stand ein arbeitsreicher Tag bevor. Die Fans erwarteten ausgeruhte Autoren, die ihre Fragen beantworten konnten.

Auch am Sonntag lief alles bestens. Als sich der Con dem Ende neigte und die Halle sich langsam leerte, sah Willi einige der Angestellten des Rosengartens. Er ging zu ihnen und unterhielt sich mit einigen von ihnen. Willi bedankte sich für die Unterstützung und die gute Arbeit. Eine der Damen sagte zu Willi: „Eins muss ich ihnen sagen. So eine große Veranstaltung mit vorwiegend jungen Leuten haben wir hier noch nie so friedlich erlebt. Es gab überhaupt keine Probleme. Erstaunlich! Es wurde nichts kaputt gemacht und alles ist so sauber. Das war eine schöne Veranstaltung.“ Sie machte Willi und die anderen Autoren, denen er davon berichtete, stolz. „Es sind halt PERRY RHODAN-Fans“ war die einhellige Meinung.

Nachdem wir unser Gepäck aus dem Hotel geholt hatten, fuhren wir zurück nach Heusenstamm. Wir wurden von Klaus Mahn (Kurt Mahr) und seiner Tochter Kathy begleitet,

die vor ihrem Rückflug in die U.S.A. noch eine Nacht in Heusenstamm verbrachten.

Teil 39

Der erste PERRY RHODAN-Weltcon hatte bei allen Beteiligten, bei Autoren und Verlagsmitgliedern und, was sehr wichtig war, bei den Fans eine positive Stimmung hinterlassen. Die monatelangen Planungen, die ausgiebigen Vorbereitungen, der manchmal an den Nerven zehrende Stress, hatten sich zu einem Wohlgefühl entwickelt. Die Vorstellungen und Wünsche, die man mit dieser lange geplanten Veranstaltung in Verbindung gebracht hatte, waren zufriedenstellend erfüllt worden. Autoren und Leser waren sich näher gekommen und sahen motiviert in die Zukunft.

Aber auch andere, bisher nicht unbedingt begeisterte PERRY RHODAN-Leser, waren auf die Serie und ihre Anhänger aufmerksam geworden.

Die Neuphilologische Fakultät der Universität Tübingen hat eine sehr interessante Untersuchung der Science-Fiction-Leser am Beispiel der Teilnehmer des 1. PERRY RHODAN-Weltkongresses durchgeführt. Eine mit dem Forschungsleiter abgestimmte Zusammenfassung der Untersuchung möchten wir Ihnen heute übermitteln, da bisher das Verhalten der Käufer und Leser von Science Fiction-Romanen noch nicht erforscht worden ist.

Mit diesen Worten schrieb die Abteilung Information des Pabel-Verlags mehrere namhafte Tageszeitungen an und bat um Veröffentlichung dieser Befragung.

Mit Überschriften wie:

Viel besser als ihr Ruf… Universität Tübingen revidiert Urteil über PERRY RHODAN-Fans
Kein Wilder Westen im Weltall – Die Leser von Science-Fiction-Literatur und ihre Vorlieben
Heim zu den Sternen… Eine Lanze für die Leser der Science-Fiction-Hefte
wurde über die PERRY RHODAN-Serie und die Untersuchung berichtet.

Die PERRY RHODAN-Serie war in die Bände 1000 plus gestartet und, nach dem großen Erfolg in Mannheim, zweifelte niemand daran, dass auch die Nummer 2000 erreicht werden konnte. Die jeweils im Februar, Juni und September erscheinenden Silberbände erfreuten sich immer größerer Beliebtheit, sehr zur Freude des Verlags und der Autoren. Am 15.September 1980 war das Buch Nr.7 mit dem Titel „ATLAN“ erschienen. Mit dem Titel „FESTUNG ATLANTIS“ kam Buch Nr.8 am 15. Februar 1981 auf den Markt.

Während die Autoren, Verlagsmitglieder und viele Fans in Mannheim den PERRY RHODAN-Con genießen konnten, musste es im Verlag mit der Arbeit weitergehen. Kurt Bernhardt, der Cheflektor in München, schrieb am 3. November 1980 an Willi Voltz. 

Zur gleichen Zeit erhielt auch Frau Ehrig (Marianne Sydow) einen Brief von Kurt Bernhardt, dem die Weiterführung der ATLAN-Serie nach Band Nr.500 sehr am Herzen lag. Er teilte der Autorin mit: … dass Herr Voltz von mir den Auftrag erhalten hat, die ersten zehn Exposés zu schreiben und dass dann erst in einem Gespräch mit Ihnen die weitere Exposé-Arbeit an der neuen Serienfolge besprochen wird.

Es war geplant, Frau Ehrig zu einem späteren Zeitpunkt als Exposé-Autorin einzusetzen.

Das Jahr 1981 hatte begonnen. Willi startete es mit Elan und vielen Ideen. Am 28. Januar feierte er seinen dreiundvierzigsten Geburtstag. Zu diesem Anlass bekam der beliebte und angesehene Autor von der Verlagsleitung einen sehr freundlichen Kartengruß sowie guten Badischen Wein geschickt.

Eine von Willis Ideen fürs neue Jahr war, Kurzgeschichten passend zu Zeichnungen zu schreiben, die von dem Künstler Alfred Kelsner stammten. Auf Herrn Kelsner wurde Willi durch einen Leserbrief aufmerksam, den der Verlag an ihn zur Beantwortung weitergeleitet hatte.

Das Ergebnis dieser Idee bekam den Titel „ZEITSPLITTER“ und stand nun, Anfang 1981, kurz vor der Fertigstellung. Am 10.02. schrieb Willi an die Abteilung Herstellung des Moewig-Verlags in Rastatt.

Was den Autor zu diesem Projekt veranlasst hatte, schilderte er in einem kurzen Bericht, der dem Buch beigefügt war.

Der Terminkalender fürs Jahr 1981 füllte sich und wir freuten uns auf alles, was auf uns zukommen sollte.

Anfang März fing sich Willi eine Erkältung ein. Mit den üblichen Hausmittelchen versuchten wir, ihm Besserung zu verschaffen. Nach ein paar Wochen meinte er: „Diese Erkältung ist ganz schön hartnäckig!“ Es gab von da an gute und weniger gute Tage; aber man dachte nicht an Schlimmeres. Der Alltag ging weiter.

Inzwischen war die offizielle Einladung von Kurt Bernhardt, dem Cheflektor des Pabel-Moewig-Verlags und „Erfinder“ der PERRRY RHODAN-Serie, eingegangen. Kurt Bernhardt wollte seinen 65sten Geburtstag und gleichzeitig seine Verabschiedung ins Rentendasein mit allen Mitarbeitern und Autoren feiern, die ihm am Herzen lagen.

Die Gäste wurden im Holiday Inn Olympic untergebracht. Die Feier fand am 4. Juni in einem bekannten Münchener Brauhaus statt. Wir freuten uns auf dieses Ereignis, das zu einem echten Highlight wurde.

Noch im selben Monat stand uns ein Besuch der Stadt Berlin bevor. Zwei Jugendmannschaften der Rosenhöhe Offenbach waren eingeladen zu einem Turnier in Berlin, Stadtteil Kreuzberg. Willi war der Trainer und Betreuer der einen Mannschaft und ich freute mich, dass ich mitfahren durfte. Es war mein erster Berlinaufenthalt. Willi hatte mich gebeten, während der langen Bahnfahrt auch ein wenig auf die Buben zu achten. „Kein Problem“, versprach ich ihm.

Damals gab es noch das geteilte Deutschland. Nach dem Überfahren der Grenze konnten wir schnell einen Unterschied in der Qualität der Schienen feststellen. „Ganz schön holprig“, meinte Willi. Die Buben schien dies nicht zu stören. Sie beschäftigten sich mit Kartenspielen, Erzählen und Sonstigem – alle waren ruhig und zufrieden. In Erfurt hatten wir einen relativ langen Aufenthalt, den wir uns nicht erklären konnten und auch von niemandem erklärt bekamen. Nach einiger Zeit öffnete ich das Fenster, was man bei den alten Zügen noch tun konnte. Frische Luft kann nichts schaden, dachte ich. Plötzlich sah ich aus dem Fenster des nächsten Abteils, in dem die andere Jugendmannschaft saß, Cola-Dosen fliegen. Ich riet meinem Mann, in das andere Abteil zu gehen und mit dem zuständigen Betreuer zu sprechen. Seine erste Reaktion war: „Die sind doch alt genug! Was soll ich da tun?“ Ich überredete ihn, doch zu gehen. Mein Gefühl sagte mir, dass es Probleme geben könnte. „Also gut“, sagte Willi, „ich gehe. Ist vielleicht besser!“

In diesem Moment wurde von der anderen Seite unseres Abteils die Tür energisch aufgeschoben und zwei Beamte der Transportpolizei Erfurt beschritten das Abteil.

„Wer ist hier verantwortlich für die Jugendlichen?“ fragte einer der beiden Beamten. Obwohl er nicht der Verantwortliche für diese Gruppe war, hielt es Willi für besser, die Verantwortung zu übernehmen. Nach einer strengen Belehrung wurde Willi aufgefordert, 50.– DM (West) zu zahlen. Er erklärte sich sofort dazu bereit und entschuldigte sich für das schlechte Benehmen der Jungen. Die 50.– DM wurden entgegengenommen und man übergab ihm die Ordnungsstrafverfügung.

Als die Beamten den Zug verlassen hatten, war ich sehr erleichtert. „Ich dachte schon, die nehmen dich mit!“ äußerte ich meine Bedenken. „Deshalb habe ich auch gleich bereitwillig gezahlt!“ sagte Willi. Ich bin heute noch davon überzeugt, dass es eine gute Entscheidung war.

Anschließend ging Willi ins Nebenabteil und bat Spieler und Trainer sehr deutlich, sich in unserem Nachbarland besser zu verhalten. „Die nächste Strafe bezahlt ihr!“ drohte er. Es flogen keine Dosen mehr!

Untergebracht waren wir im Hotel Europa, gegenüber des Luftbrückendenkmals am alten Flughafen und wir hatten eine gute Zeit.

Willi hatte immer noch Probleme mit seiner Bronchitis. Ich bat ihn, doch endlich mal zum Arzt zu gehen. Sein Husten wurde nicht besser. Im Gegenteil! In den Sommerferien wollten wir noch einmal nach Dänemark fahren und hatten auch bereits für vier Wochen gebucht.

„Ich sage ab. Geh' endlich zum Arzt“, riet ich meinem Mann. „Nein. Der Urlaub wird mir guttun“, war seine Reaktion. Vielleicht ist es wirklich so, hoffte ich. Und wir fuhren. Nach etwa einer Woche sagte mir Willi, dass, wenn es ihm nicht bald besser gehen würde, er den Urlaub abbrechen müsse. Wir standen den Urlaub durch, der Willi dann doch tatsächlich zu helfen schien.

Zu Hause angekommen, begab er sich wieder an die Arbeit. Ich spürte, dass ihm irgendetwas durch den Kopf ging. War es seine Gesundheit? Ich wollte ihn nicht zu sehr bedrängen und wartete, dass er die Entscheidung traf, endlich zum Arzt zu gehen. Eines Abends sagte er spontan: Was meinst du zu der Idee, dass ich den Herbert frage, ob er wieder bei PERRY RHODAN einsteigen möchte? Ich war etwas überrascht, weil ich ganz andere Gedanken hatte. Aber ich wusste nun, was meinem Mann die ganze Zeit durch den Kopf gegangen war. Er machte sich Gedanken darüber, dass Karl Herbert Scheer, dessen letzter PERRY RHODAN-Band Nr. 500 war, später kaum Nachdruckhonorar bekommen würde. „Wovon soll er mal leben, wenn nichts mehr nachkommt?“ waren Willis Bedenken. Er sprach mit K.H. Scheer, der nicht abgeneigt war wieder einzusteigen und setzte sich danach mit dem Verlag in Verbindung. Die größte Skepsis des Verlags war die Einhaltung der Termine. William Voltz übernahm die Verantwortung und versicherte, dass er bei Nichteinhaltung des Termins die Niederschrift des Romans besorgt. Auch über die Grundthemen und die Einstellung zur Serie wurde gesprochen. Mit Band Nr.1074 stieg K.H. Scheer, zumindest für kurze Zeit, wieder in die Serie ein.

Willi wurde zusehends hinfälliger und sein Husten unangenehmer. Es hielt ihn nicht davon ab, trotzdem samstags in der Mannschaft der „Alten Herren“ Fußball zu spielen. Es war ein schöner Augusttag und die Frauen der Spieler und viele der Kinder waren auch auf dem Platz. Die Spielerfrauen wussten, dass die Männer gerne anschließend noch an der Theke ihr Bier trinken und ein bisschen diskutieren wollten und suchten sich in unserem Vereinslokal inzwischen einen Tisch. Ich wartete draußen auf Willi. Er kam aus der Kabine und hielt kurz darauf an einem Geländer an, um sich auszuruhen. Ich ging zu ihm. Er fühlte sich nicht gut. „Wir können entweder heute Abend zu Riebows gehen, oder morgen mit den Kindern zum Schulfest! Beides schaffe ich nicht“, sagte er. „Lass' uns heimfahren. Ich rufe die Kinder!“ antwortete ich.

Zu Hause angekommen, sagte ich die Einladung zur Geburtstagsfeier unserer Freundin Gerda ab. Es war uns wichtiger, am nächsten Tag mit den Kindern an deren Schulfest teilzunehmen.

Endlich hatte ich meinen Mann dazu überreden können, einen Arzt aufzusuchen. Er wurde befragt und untersucht. Außerdem wurde Blut entnommen. Nach einigen Tagen ging Willi wieder zum Arzt und wurde empfangen mit der „freudigen“ Nachricht: „Sie sind kerngesund. Ich weiß gar nicht, was sie hier wollen.“

Auf Willis Frage, warum es ihm nicht gut gehe, konnte der Arzt keine Antwort geben. Er machte den Vorschlag, die Lunge zu röntgen. An dem Tag, als Willi diesen Termin hatte, stand ich auf der Leiter, um die Hecke zu schneiden. Unser Nachbar gab mir seine elektrische Heckenschere, weil es damit einfacher und schneller gehen würde als mit meiner Schere. „Aber passen sie auf. Wenn sie ausschalten, dauert es einen Moment, bis die Schere abschaltet.“ Dem Kabel konnte man ansehen, dass dieser Rat schon mehrmals nicht befolgt wurde. Ich hatte meine Arbeit fast beendet und das Kabel war noch in Ordnung, als das Telefon klingelte. Das muss Willi sein, war mein erster Gedanke. Ich stellte die Schere ab – und wartete nicht lange genug. Das Kabel war angeschnitten. Es war mir egal und ich eilte zum Telefon.

„Ich bin’s“, hörte ich Willi sagen. Er schien erleichtert zu sein. „Ich habe eine übergangene Lungenentzündung und muss Antibiotika nehmen. Nach drei Wochen soll ich mich wieder melden.“

Fürs Erste waren wir beruhigt.

Teil 40

Willi wurde zusehends schwächer, arbeitete jedoch weiter und versuchte alle Termine einzuhalten. Sein Kollege Peter Griese hatte sich gemeldet. Es gab eine Einladung der Stadt Bergkamen zu einer Podiumsdiskussion, an der außer Peter Griese auch Willi teilnehmen sollte. Willi nahm die Einladung an, bat mich jedoch, ihn zu begleiten und auch zu fahren. Es wurde, wie immer wenn junge PERRY RHODAN-Fans zusammenkamen, eine angeregte und positive Diskussion. Trotz seiner Probleme konnte Willi diesen Tag genießen, war aber doch erleichtert, als er wieder zu Hause angekommen war und sich ausruhen konnte.

In den drei Wochen bis zum nächsten Termin wurden Willis Beschwerden nicht besser – im Gegenteil. Die Untersuchung ergab, dass sich der Schatten in der Lunge nicht, wie erhofft, verkleinert hatte, sondern größer geworden war. Auch wenn noch kein endgültiges Ergebnis vorlag, wussten wir doch, dass dies nichts Gutes bedeuten konnte.

Ich wollte mit dem Arzt sprechen, ohne dass mein Mann zuhören konnte. Ich erklärte Willi, dass ich noch ein paar Kleinigkeiten einkaufen müsse und bald wieder zurücksein werde. Das Einkaufszentrum war ganz in der Nähe und dort gab es auch ein Telefonhäuschen. Der Arzt war noch in der Praxis. Die Auskunft war niederschmetternd. Er empfahl für die Operation das Nord-West Krankenhaus in Frankfurt, weil der dortige Chefarzt der Chirurgie, Professor Dr. Ungeheuer, auf Lungenkrebs spezialisiert sei. Auf den Einweisungstermin mussten wir nicht lange warten. Bereits in ein paar Tagen, am nächsten Montag, sollte Willi morgens in der Klinik sein.

Während ich mit dem Packen von Willis Tasche beschäftigt war und meine Gedanken zwischen Operation, Heilungschancen und unserer Zukunft hin und her schwirrten, erklärte mir mein Mann: “Am Sonntag fahren wir aber auf die Rosenhöhe. Ich möchte, wenn es irgendwie geht, wenigstens eine Halbzeit in der Reserve mitspielen bevor ich ins Krankenhaus muss.” Ich glaubte, mich verhört zu haben. „Hältst du das für eine gute Idee?“ fragte ich meinen Mann. Es war ihm nicht auszureden. Der Sonntag war ein kühler, aber sonniger Oktobertag und Willi spielte seine letzte Halbzeit für die Reserve der Sportgemeinschaft Rosenhöhe.

Am nächsten Morgen fuhren wir nach Frankfurt in die Klinik. Einige Untersuchungen waren noch notwendig, bevor Willi für die Operation vorbereitet werden konnte. Die Bronchoskopie setzte ihm am meisten zu.

Am Abend vor der Operation hatte ich noch ein Gespräch mit einem der Ärzte. Er sagte mir, dass der Tumor sehr groß wäre und dass die Operation nach der am offenen Herzen die schwierigste sei. „Wir klappen ihren Mann auf wie eine Motorhaube“, erklärte er mir. Nichts von dem, was mir der Arzt erzählte, konnte mich auch nur im Geringsten beruhigen, obwohl ich mir meine innere Unruhe nicht anmerken ließ. „Ich bewundere ihre Ruhe“, meinte der Arzt. “Normalerweise sind die Angehörigen immer sehr aufgewühlt!“ Das war ich natürlich auch; es hätte meinem Mann aber nicht geholfen, wenn ich ihn meine Angst hätte spüren lassen. Ich ging noch mal zurück ins Zimmer, um Willi alles Gute für die bevorstehende Operation zu wünschen. Wir umarmten uns und hielten uns lange fest. Ich verabschiedete mich mit den Worten: „Du schaffst das schon! Ich rufe an, wenn ich zu Hause bin. Bis später!“ Die Ungewissheit war schwer zu ertragen.

Als ich am nächsten Vormittag in der Klinik anrief, wurde mir gesagt, dass mein Mann noch nicht wieder auf der Station sei. „Kommen Sie am Nachmittag, dann ist ihr Mann bestimmt wieder bei uns“, empfahl mir die Krankenschwester. Ein Freund hatte sich angeboten, mich in die Klinik zu fahren. Da ich sehr angespannt und nervös war, nahm ich sein Angebot gerne an.

Bevor ich zu Willi ins Zimmer ging, hatte ich Gelegenheit mit einem Arzt zu sprechen, der bei der Operation anwesend war. Er erklärte mir, dass man meinem Mann den kompletten linken Lungenflügel entfernen musste. „Wenn er die nächsten zwei bis drei Jahre überlebt, kann man davon ausgehen, dass er es geschafft hat“, gab er mir als Information mit auf den Weg.

Willi lächelte als er mich sah, obwohl ihm die anstrengende Operation anzusehen war. Ich beugte mich vorsichtig zu ihm hinunter und begrüßte ihn. „Die Operation hast du gut überstanden und den Rest schaffst du auch!“ Ich war nicht sicher, dass mein Versuch, meinem Mann Mut zu machen, auch bei ihm ankam.

Nach knapp zwei Wochen Aufenthalt in der Klinik wurde Willi entlassen. Ich holte ihn ab und brachte ihn nach Hause, ganz mit dem Gedanken befasst, meinen Patienten zu pflegen und zu umsorgen. Als ich Willi fragte, ob er einen besonderen Wunsch habe, antwortete er: „Fährst du mich bitte heute Abend auf die Rosenhöhe? Ich möchte allen, die mich schon abgeschrieben haben beweisen, dass ich noch lebe und vorhabe, wieder fit zu werden.“ Mit allem hätte ich gerechnet, aber nicht mit diesem Wunsch. Ich wusste, dass ihm viel daran lag zu zeigen, dass er ein Kämpfer ist, auch wenn es schwerfallen sollte. Nicht ganz überzeugt von seinem Vorhaben versprach ich Willi, ihn zu fahren. Es war Freitag und die Alten Herren trafen sich normalerweise zu ihrer Spielersitzung. An diesem Freitag wurde allerdings der Polterabend eines Fußballers gefeiert und nur einige Bekannte waren anwesend. Das war vielleicht gut so, dachte ich und holte meinen Mann nach einer Stunde wieder ab.

Trotz aller Versuche, Normalität einkehren zu lassen, hatte sich unser Leben verändert. Auch wenn wir uns immer Mut und Hoffnung zusprachen, war die Angst in uns. Unseren Söhnen, zwölf und dreizehn Jahre alt, hatten wir die Situation erklärt und ihnen gesagt, dass der Papa gute Chancen aufs Gesundwerden hat. Chemotherapie lehnte Willi ab. Als ich nach der Operation den Arzt in der Klinik darauf angesprochen hatte, meinte er, dass diese Behandlung derzeit auch nicht sinnvoll sei.

Willi hatte sich entschieden, den Hausarzt zu wechseln. Sein Vertrauen in den seitherigen Arzt war nach seiner Erfahrung, die er vor der endgültigen Diagnose machen musste, gestört. Er setzte seine Hoffnung in eine Verbindung der Schulmedizin mit alternativen Methoden. Auch seine Ernährung wollte er umstellen. Willis neuer Arzt war Internist und betrieb eine kleine Privatklinik in Offenbach, in der neben der sogenannten Schulmedizin auch mit alternativen Methoden behandelt wurde.

Ich hatte mich zur Sprechstunde angemeldet und legte dem Arzt den Bericht der Frankfurter Klinik vor. Ich erklärte ihm unsere Situation und fragte, ob er meinen Mann behandeln würde. Nachdem er den Bericht gelesen hatte sagte er, dass er uns nichts versprechen kann, aber alles tun werde, um meinem Mann zu helfen.

In dem Bericht war der Operationsablauf geschildert und ebenso der Verlauf nach der Operation. Professor Dr. Ungeheuer zeigte sich erstaunt über die schnelle Erholung nach dem schweren Eingriff. „Als ich am Tag nach der Operation zur Visite ins Zimmer des Patienten kam, musste ich erstaunt feststellen, dass das Bett leer war. Der Patient war ohne jede Hilfe ins Bad gegangen, um sich zu erfrischen“, schrieb er in seinem Bericht.

Zuhause angekommen, berichtete ich Willi von meinem Besuch bei dem Arzt und versicherte ihm, dass er einen guten und netten Eindruck auf mich gemacht hatte. „Ich denke, dass du dich ihm anvertrauen kannst. Morgen ist dein erster Termin“, sagte ich ihm. Diese Auskunft machte Willi Mut und er begann mit Zuversicht die Therapie. In den ersten Wochen fuhr ich ihn fast jeden Tag zur Behandlung in die Praxis.

Bereits nach kurzer Zeit konnte man erkennen, dass es Willi besserging. Er hatte Appetit und versuchte, seinen gewohnten Lebens- und Arbeitsstil so gut es ging fortzusetzen. Der Schock im Verlag und bei den anderen Autoren wandelte sich ebenfalls in Hoffnung und Zuversicht.

Nach der Lektüre einiger Bücher, die sich mit dem Thema Krebserkrankung und die Nachsorge befassten, war ich damit beschäftigt, für meinen Mann eine gesunde und schmackhafte Diät zu kreieren. Willi wollte auf Fleisch verzichten, das wir durch Sojaprodukte ersetzten. Es füllte zumindest den Magen.

Bei einem unserer Arztbesuche lagen auf einem Tisch Informationsblätter von einem Laden, der sich „Bioecke“ nannte und kürzlich Eröffnung hatte. Wir hielten dort noch am selben Tag an und gehörten von da an zum Kundenstamm. Es wurden nur Produkte verkauft, die auf „Demeterhöfen“ angebaut worden waren. Diese Aktivitäten gaben uns das Gefühl, etwas Richtiges und Gutes für meinen Mann zu tun. Und das war ausgesprochen wichtig.

Vom Verlag kam die Mitteilung, dass Anfang Dezember ein Autorentreffen in Rastatt stattfinden werde. Die Hoffnung des Verlags war groß, dass Willi an diesem Treffen teilnehmen konnte. Die Mitarbeiter der PERRY RHODAN-Redaktion wurden nicht enttäuscht.

Auch der Autor Kurt Mahr kam aus den U.S.A. zu diesem Termin und wie so oft, übernachtete er auch diesmal bei der Familie Voltz. Ralph räumte für ihn sein Zimmer und schlief bei seinem Bruder Stephen.

Erst Jahre später gestand mir Klaus Mahn (Kurt Mahr), dass er in Ralphs Zimmer nicht gut schlafen konnte, weil die ganze Nacht das Aquarium blubberte.

Da sich Willi noch nicht sicher genug fühlte, um selbst zu fahren, übernahm ich die Aufgabe, die beiden Autoren nach Rastatt zu fahren. Unsere Söhne brachten wir bei Freunden unter.

In den Nachrichten hatte man darüber informiert, dass es in der Nacht Schneefall geben wird. Herr Mahn fragte besorgt, ob wir in diesem Fall doch nicht lieber mit der Bahn fahren sollten. Offensichtlich hatte er kein großes Vertrauen in meine Fahrkünste. Willi lehnte das ab mit der Begründung, dass er flexibel sein möchte, falls er Probleme bekommen sollte.

Am nächsten Morgen erwartete uns eine wunderschöne Winterlandschaft. Gleich nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg. Es schneite noch etwas und wie erwartet ging es langsam voran. Es war angebracht, in den von den Autos gebildeten Fahrspuren zu bleiben. Der Schnee war matschig und die Temperatur kaum unter dem Gefrierpunkt. „Bis mittags ist das alles weg“, beruhigte Willi seinen Freund und Kollegen, dessen angespanntes und etwas besorgtes Gesicht ich im Rückspiegel erkennen konnte.

Tatsächlich änderte sich die Wetterlage auf dem Weg in Richtung Süden. In Rastatt blies ein heftiger, aber milder Wind und von der weißen Pracht war kaum noch etwas zu sehen.

Die Verlagsleitung hatte die Autoren für den Abend zu einem gemeinsamen Essen eingeladen. Willi hatte den Wunsch, sich zuvor noch ein wenig auszuruhen. Wir gingen in unser Zimmer und legten uns aufs Bett, um etwas zu entspannen. Es dauerte nicht lange, bis es an der Tür klopfte. Ich öffnete und begrüßte Herrn Blach, den Geschäftsführer des Pabel-Verlags, der sehr daran interessiert war zu erfahren, wie sich William Voltz gesundheitlich fühlt. Ein paar Minuten später klopfte es wieder und die Herren Müller-Reymann und Hubert von der Geschäftsleitung wollten ebenfalls meinen Mann begrüßen. Da die vorhandenen Stühle nicht ausreichten, setzten sich die Herren aufs Bett. Nach etwa einer halben Stunde verließen sie uns wieder und schienen sehr erleichtert. Alle freuten sich auf einen schönen Abend.


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